100 Jahre Bahnhofsmission

Pünktlich zum Geburtstag Trägerwechsel in Hannover

In diesen Tagen wurde die Bahnhofsmission in Deutschland 100 Jahre alt. In dieser Zeit haben sich die Mitarbeiter um Reisende gekümmert, die irgendwo in einem Bahnhof hängengeblieben sind und im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr weiter wussten. Die Gründe, warum Menschen heute die Bahnhofsmission ansteuern, sind ganz verschieden, sagt Andrea Weber. Sie leitet die Bahnhofsmission im Hauptbahnhof Hannover. Hier zu uns kommen Menschen, die sich einfach nur einmal ausruhen oder mal reden wollen. Gründe sind aber auch, dass sie Hilfe brauchen beim Zugwechsel, ihnen das Geld für die Fahrkarte fehlt oder sie den letzten Zug für die Weiterfahrt verpasst haben. In ihrer blauen Jacke mit dem Logo der Bahnhofsmission und mit einem Kofferkuli  macht sie sich auf den Weg. Angekündigt ist eine 82-jährige Dame aus Berlin, die Hilfe beim Umsteigen benötigt.

Andrea Weber ist seit fast einem Jahr in der Bahnhofsmission tätig, aber von Anfang an mit Leib und Seele dabei. Vorher war ich in der Gemeindearbeit tätig, da kam die Ausschreibung und ich dachte für mich, das ist mal was anderes, das interessiert mich. Als eine von insgesamt sechs Hauptamtlichen arbeitet Weber mit einem Stab von Ehrenamtlichen zusammen. Sie ist für ihre Leute da, hört ihnen zu, teilt die Schichten ein, denn die Bahnhofsmission ist durchgehend besetzt. Und als Neue lernt sie von den Erfahrungen, die ihre langjährigen Mitarbeiter in der Bahnhofsmission gesammelt haben. Ich bin immer wieder fasziniert, wie kompetent sie mit den Anliegen und Problemen unserer Besucher umgehen. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand nicht ernst genommen wird oder ihm nicht irgendwie geholfen werden konnte. Ganz wichtig ist für mich, dass meine Mitarbeiter und auch ich jedem der kommt ohne Rücksicht auf Ansehen und Aussehen auf Augenhöhe begegnen.

Ob der gehbehinderte Professor, der seine in Deutschland verteilt lebenden Kinder besuchen will, das 8-jährige Mädchen, das zwischen den getrennten Eltern hin und her reist, oder der leicht angeheiterte Fußballfan, der den Anschluss an seine Gruppe und den Zug verpasst hat die Bahnhofsmission spiegelt die Gesellschaft wieder. Ob arm oder reich, alt oder jung, Mann, Frau oder Kind hier bei uns wird, soweit wir es können, jedem geholfen. Zwei Fälle aus der letzten Zeit sind Andrea Weber besonders in Erinnerung geblieben. Eine feine Dame kam bei uns rein, eingehakt am Arm hatte sie einen offensichtlich angeheiterten, aber netten älteren Herrn. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie ein Paar, das zusammengehörte, so Weber. Doch dann wurde schnell klar, der Mann hatte Krach mit seiner Frau gehabt, was getrunken und sich bei der nächst besten Frau im Bahnhof eingehakt. Und an der hing er nun wie eine Klette. Auch dieser harmlose Fall konnte mit Kaffee und einem Telefongespräch schnell gelöst werden.

Ganz anders hört sich da die Geschichte des polnischen Aupair-Mädchens an. Sie war von einem Geschäftsmann angestellt worden für seine beiden Kinder in einem großen Haus in der Nähe von Hannover. Doch als sie ankam, stellte sich das Haus als Einzimmerappartement heraus und von Kindern gab es auch keine Spur. Das Mädchen sollte nicht als Aupair, sondern als Prostituierte arbeiten. Ohne Geld, ohne Ticket und ohne Kontakte im fremden Land suchte sie die Bahnhofsmission auf. Wir konnten ihr helfen und eine Fahrkarte nach Hause vermitteln.

Im vergangenen Jahr von Januar bis Oktober kamen rund 15 000 Menschen in die Bahnhofsmission. Knapp die Hälfte von ihnen waren Reisende, die Rat und Hilfe im klassischen Hilfsbereich der Bahnhofsmission benötigten. Die anderen konnten hier betreut werden oder an soziale Einrichtungen und Beratungsstellen von Caritas, Diakonie oder der Stadt weitervermittelt werden.

Wichtig für Andrea Weber ist, dass hier in der Bahnhofsmission nicht nur dem Leib geholfen wird, sondern, dass auch die Seele nicht zu kurz kommt. Schließlich, so Weber, sind wir eine kirchliche Einrichtung. Schon seit Jahrzehnten wird in der Bahnhofsmission ökumenisch gearbeitet, gemeinsam und nicht wie in den Anfängen getrennt einen Tag katholisch, den nächsten dann evangelisch.  Verantwortlich für die Bahnhofsmission ist ein Trägerverein, der bis vor kurzem in der evangelischen Kirche beheimatet war. Nun ist er als erster Trägerverein einer Bahnhofsmission im Bundesgebiet ökumenisch.

Immer wieder ist Andrea Weber vom Engagement ihrer Ehrenamtler beeindruckt. Acht Stunden, nachts sogar neun, arbeiten sie am Stück, kochen Kaffee oder Tee, hören zu oder packen handfest an, wo im Reisealltag Hilfe gebraucht wird. berstunden sind für Weber selbst auch keine Seltenheit. Das ist der Chefin der Bahnhofsmission besonders wichtig, dass sie diesen Rückhalt in ihrer Familie hat, auch wenn es mal wieder später geworden ist, als angekündigt - und das tut gut. Das gilt für sie genauso wie auch für die Ehrenamtlichen.

(pkh)