Auf das Leben!

Die Nähe von jüdischem und christlichem Glauben

#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst – so lautet der Titel einer deutschlandweiten ökumenischen Kampagne, die jetzt begonnen hat. Nachfragen bei Ulla Konrath , katholische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hannover .

Worum geht es aus Ihrer Sicht schwerpunktmäßig bei der Kampagne?

Die Kampagne steht im Licht der vielen Veranstaltungen und Aktionen rund um das Jahresthema 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und will über Kirchengemeinden und anderen kirchliche Wirkorte, wie auch in Schulen und öffentlichen Einrichtungen, mit den Plakaten freundlich aufmerken lassen. Sie will informieren, zu eigenen Gedanken anregen und bestenfalls zum Gespräch verleiten. Es ist schon lange klar, dass wir dem wachsenden Antisemitismus und den Verschwörungsmythen in unseren Reihen etwas entgegen setzen müssen, das geht nur eindeutig und offen und für die Menschen, die es aufnehmen wollen, positiv. Die Shoa und die gesamte christlich jüdische Geschichte geht über Tod, Vertreibung und Mord, das ist immer verstörend und macht betroffen. In der Vergangenheit waren wir Täter oder Opfer, das wollen wir in Zukunft nicht mehr werden. Es kam der Wunsch seitens der jüdischen Verbände und Gemeinden lebendiges und positives übereinander zu erfahren und darüber in die Begegnung zu kommen.

Was sind denn die Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Juden, da gibt es doch einen erstaunlichen Vielklang allein in den Festen?

Wahrhaftig begegnen wir uns im Jahreszyklus immer wieder mit den christlichen und jüdischen Feste ohne es zu merken, weil wir so ganz parallel aneinander vorbei leben. Mir hat diese Erkenntnis geholfen mit der Veränderlichkeit der eigenen Traditionen und des eigenen Anspruchs besonders in der Familie mit meinen heranwachsenden Kindern besser umzugehen. Es ist spannend und tut gut zu erleben, das jüdische Traditionen viele unserer Kirchenfeste durchs Jahr vorgelebt haben und doch ganz anderes gefeiert werden. Das jüdische Passahfest kennen wir vielleicht am besten, weil es im Neuen Testament eine so entscheidende Rolle spielt. Von christlicher Seite wurde die jüdische Wurzel unseres Glaubens lange prominent ignoriert, da sind und waren wir wohl immer schon eifersüchtig bis hin zu hasserfüllt Judenfeindlich. Es macht mich leichter und irgendwie froh über die Gemeinsamkeiten jetzt immer mehr und mehr zu erfahren.

Wie ist es um das Verhältnis von Christen und Juden in Hannover bestellt?

Seit November 2019 bin ich für die katholische Seite im Vorstand der Gesellschaft Christlich Jüdischer Zusammenarbeit. Die GCJZ wurde in Deutschland nach 1945 von den Alliierten uns als Aufgabe an die Hand gegeben. Eine weise Entscheidung in die Zukunft. Heut ist der Christlich Jüdische Dialog sehr viel breiter aufgestellt, vor allem in der evangelischen Kirche. Dort gibt es zum einen die regelmäßigen Gesprächsveranstaltungen und die kulturell hochwertigen Abende in der Marktkirche. Die BCJ, Begegnung Christlich Jüdisch, kommt ebenfalls aus der evangelischen Landeskirche und ist ebenfalls hochkarätig aufgestellt. Der christlich jüdische Dialog arbeitet mit den vielen jüdischen Gemeinden und Einrichtungen intensiv und vertrauensvoll zusammen. Nebst den Verbänden und der wunderbaren Villa Seligmann gibt es in Hannover vier verschiedene jüdische Gemeinden. Die Bekanntesten sind sicher die Liberale Jüdische Gemeinde und die Konservative Orthodoxe Jüdische Gemeinde. Wir sind zwar nicht Berlin oder Köln, aber Hannover hat auch eine ausgeprägte Jüdisch Christliche Kultur und natürlich einen schnellen Draht, wenn wir uns gegenseitig unterstützen müssen, wie damals nach dem Anschlag in Halle. Da wissen die Hannoveraner*innen und die christlichen Kirchen klar, wo sie stehen.

Warum ist der jüdisch-christliche und darüber hinaus der Interreligiöse Dialog so wichtig?

Gott legt uns die Pflicht zum Frieden mitten ins Herz. Es ist eine grundlegende Übung zum Erhalt des Friedens in der Stadtgesellschaft, wie auch in der Welt, dass die einzelnen religiösen Gruppen miteinander sprechen. Auch hier haben wir in Hannover mit dem Haus der Religionen einen hervorragenden Ort, mit dem Rat der Religionen ein waches und ansprechbares Gremium und mit dem Forum der Religionen eine handlungsfähiges Moment für diese Friedensarbeit, die nicht jede/jeder von uns in jeder Minute selber leisten kann. Ich würde mir wünsche, dass es in jeder Gemeinde eine Art Nachbarschaftrat gäbe, der sich mit dieser wunderbaren Infrastruktur die gemeindlichen Nachbarn anderer Religionen zu Freunden macht. Wer umeinander weiß, läd sich vielleicht gegenseitig zum Gemeindefest ein, kann sich in Schulen und öffentlichen Plätzen begegnen und ist so auch selber geschützt, wenn antisemitische, antiislamische oder antichristliche Gewalt aufkommt. Dialog klappt ja manchmal noch nicht einmal mit den anderen christlichen Kirchen nebenan. Wir stehen also da noch sehr am Anfang einer notwendigen Ökumene und Freundschaft, die uns ohne Frage gut tut. Es ist ein interessantes Paradox, das die eigene Identität in der Begegnung mit dem Anderen positiv genährt wird.

Wie sieht der Dialog der Religionen in der Zukunft aus? Was wünschen Sie sich von den Dialogbeteiligten?

Eigentlich ist es ganz einfach. Fürs erste reicht es offen zu sein für den Anderen. Der Schlüssel liegt in der Annahme, dass auch der andere ein reiches spirituelles und geistiges Leben hat und daher ein interessantes Gegenüber sein kann. Diese wertschätzende und friedfertige Perspektive legt uns ja das Zweite Vatikanische Konzil ins Stammbuch, wenn es (im Kapitel nostra etate) heißt, die katholische Kirche lehne nichts von alledem ab, was in diesen anderen Religionen wahr und heilig ist. Der Dialog hat immer Zukunft, auch wenn ich natürlich nicht die Friedensarbeit von Stadt, Land und Weltkirche machen kann. Wir haben es zum Beispiel an der Schule unserer Kinder erlebt, wie der Schulhof deutlich friedlicher wurde, nachdem islamischer Religionsunterricht und jüdischer Religionsunterricht zusätzlich stattfanden. Es wird immer wieder an vielen Orten viele kleine Schritte geben müssen. Wir müssen unsere Resonanz, also unser Ohr für den interreligiösen Dialog wachhalten. Das kann auf der nachbarschaftlichen Ebene ganz persönlich passieren oder aber auch ein Verbinden mit den schon bestehenden Organisationen wie GCJZ, BCJ, oder anderen sein. Das Verbinden wird mich reich machen, aber ich kann es nicht erzwingen, nicht konservieren.

Wie können sich Gemeinden und Verbände in diese Kampagne einbringen?

Die Gemeinden können die Plakate einfach am eigenen Kopierer ausdrucken und Monat für Monat passend in ihre Schaukästen hängen. Das wäre schon der erste und wichtigste Sinn dieser Kampagne. Ob sich daraus vielleicht ein Gespräch, eine Predigt, eine Begegnung ergibt, kann mit Spannung erwartet werden. Bestenfalls entsteht ein Bedürfnis in der Gemeinde, die eigenen jüdischen Nachbarn besser kennen zu lernen und gegenseitig einzuladen. Das eigene Selbstwertgefühl und auch der eigene Glauben kann an der Begegnung mit dem vermeintlich Anderen wachsen. Und weil das Sprechen darüber immer vor Ort stattfindet, wird es auch erst einmal die Gespräche untereinander lebendig werden lassen.

Fragen: Rüdiger Wala