Auf dem Weg zur Balance

Die Kirchen beim Fest für Demokratie zum 1. Mai auf dem Klagesmarkt

Ich bin nicht sicher, ob ich der richtige Ansprechpartner beim Thema Balance von Arbeiten und Leben bin, gestand Ministerpräsident Stephan Weil lachend bei der Talkrunde im kumenischen Kirchenzelt. Meine Frau würde das sicher verneinen.  Unter dem Motto Gute Arbeit Gutes Leben fragten die Kirchen beim Fest für Demokratie heute auf dem Klagesmarkt nach der Balance von Arbeit und Leben in der Gesellschaft. Auf einer Slackline, einem zwischen Bäumen gespannten Balancierseil,  und bei weiteren Aktionen konnten große und kleine Besucher spielerisch ins Gleichgewicht kommen. Die Kirchen spendierten allen, die wollten, das Porto für eine Postkarte, um einen netten Menschen einzuladen: "Gönn dir was..."

In meiner Jugend war ich als Marxist überzeugt: Der Mensch verwirklicht sich durch Arbeit, erinnerte sich Weil im Talk mit Stadtsuperintendent Hans-Martin Heinemann und Propst Martin Tenge. Auch heute noch wünsche er sich eine Gesellschaft, in der den Menschen die Arbeit so viel Spaß macht, dass sie Arbeiten und Leben nicht als Gegensätze erleben. Doch die Realität sieht anders aus, räumte er ein: Die ständige Erreichbarkeit durch Handy, E-mails und virtuelle Netzwerke für dazu, dass Menschen nicht mehr abschalten können. Jeder fünfte Ratsuchende, berichtete Axel Gerland vom Leitungsteam des Evangelischen Beratungszentrums Hannover, leide unter Anpassungs- und Belastungsstörungen oder anderen Problemen mit seinem Job. Oft sind das die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die Verantwortung im Beruf tragen. Da viel zu wenig Therapieplätze zur Verfügung stehen, sind die kirchlichen Beratungsstellen als schnell erreichbare Ansprechpartner gefragt.

Die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende Andrea Kocsis wies darauf hin, dass prekäre Arbeitsverhältnisse, wie sie besonders in der Post- und Logistikbranche verbreitet sind, noch häufiger krank machen als reguläre: Und dann wundert sich die Deutsche Post AG, dass sie einen Krankenstand von 10 Prozent hat. Kocsis forderte: Wir müssen von dem Standpunkt wegkommen: Hauptsache, jeder ist beschäftigt, egal wie.

Pastorin Nora Steen, Wort-zum-Sonntag-Sprecherin und Leiterin des Hauses der Stille im Kloster Wülfinghausen, erinnerte daran, dass es in der Tradition der Klöster einen uralten Grundsatz zur Work-Life-Balance gibt: Ora et labora, bete und arbeite. Die Gebetszeiten geben dem Tag im Kloster einen klaren Rhythmus vor.  Ebenso, erinnerte Propst Martin Tenge, ist es der kulturelle Sinn des Sonntags, die Woche für die Arbeitenden zu strukturieren. Man braucht diesen Tag, um auf Distanz zur Arbeit zu gehen, erklärte er. Da stimmte der Ministerpräsident zu und kritisierte ausgedehnte Ladenöffnungszeiten: Man muss nicht rund um die Uhr einkaufen.

pkh