Bevor der Löffel abgegeben wird …

Aktion des [ka:punkt] am Kröpke in der Innenstadt von Hannover

Before I die – bevor ich sterbe: Aktion des [ka:punkt] am Kröpke in der Innenstadt von Hannover. Passant*innen schreiben auf eine große Tafel, was sie in ihrem Leben noch machen möchten

Manche dieser Listen sind lang, andere kurz, manche ein Sammelsurium, andere nach Wertigkeit durchnummeriert: die „bucket list“ oder ins Deutsche übertragen, die „Löffelliste“. Wünsche von Dingen im Leben, die Menschen sich noch erfüllen möchten, bevor sie sterben. Oder umgangssprachlich „den Löffel angeben“, im Englischen „kick the bucket“.

„November ist der traditionelle Trauermonat, daher wollten wir gerne was, bei Menschen in Hannover auf dieser bucket list steht“, sagt Anna-Lena Passior, Gemeindereferentin im [ka:punkt], dem Beratungs- und Treffpunkt der Katholischen Kirche in der Innenstadt von Hannover. Daher wurde dort, wo es am wuseligsten in der Innenstadt ist, am Kröpke, eine große Tafel aufgestellt. Zum Beschreiben. Mit einem Wunsch aus der persönlichen Löffelliste. Leitsatz oben an der Tafel: „Before I die …“

„Diese Aktion entspricht unserem Ansatz von urban churching“, erläutert Passior. Übertragen meint diese Idee das Kirche-Sein im innerstädtischen Umfeld. „Wir versuchen so kurze Kontakte zu Menschen herzustellen, die weder in einer Kirche gehen noch bei uns im [ka:punkt] einen Kaffee trinken würden.“ Es sei Pastoral im Vorübergehen, einmal kurz eine Beziehung geknüpft, hier zu einer Frage und zu einem Fest, das für die Katholische Kirche hohe Bedeutung hat: Allerseelen, eigentlich der Tag des Gedenkens an alle verstorbenen Gläubigen, hier übertragen auf einen besonderen Herzenswunsch. 

Weitreichend – Wünsche wie Sprachen

Die beidseitig beschreibbare Tafel füllt sich schnell. Nicht nur auf Deutsch oder Englisch, sondern auch auf Arabisch oder Hindi. So weitreichend wie Sprachen sind auch die notierten „Löffel“: Viele Reisewünsche sind dabei. Indien (passend zu Hindi), Japan, klassisch New York oder einfach „durch die Welt reisen“ oder „durch die Wüste wandern“. Fingerfertigkeit steht auch hoch im Kurs: Häkeln oder Stricken lernen. Oder auf die Fingerfertigkeit eines künstlerischen Gewerks vertrauen: ein Tattoo stechen lassen. Stichwort Vertrauen: „Aus einem Flugzeug springen“ (das Team vom [ka:punkt] mal vorsichtshalber einen Fallschirm dazu) und Bungee-Jumping finden sich auch.

„Etwas Großes bewirken“ ist ein weiterer Punkt auf dieser im übrigen auch fleißig von Passant*innen fotografierten kollektiven Löffelliste, ebenso wie „Ein Meisterwerk malen“ oder eine „Graphic Novel veröffentlichen“ oder „alle meine Sachen spenden“. Es werden zudem sehr persönliche Wünsche aufgeschrieben: „Glücklich werden“, „mein Leben leben“, „schwanger werden“, „Hilfe für alte Menschen sein“ oder auch „gesund werden und Azad heiraten“. 

Doch zeigt so eine Liste, wie gespalten und brüchig das gesellschaftliche Zusammenleben zurzeit ist: „Palestine will be free“ ist zu lesen, später in anderer Schrift ergänzt um „Israel will remain“ und verbunden mit dem so unscheinbaren, aber grundlegenden Wörtchen „Peace“ für Frieden. Ein großer Wunsch auf der bucket list.

Wer noch einen Moment über den besonderen Wunsch für das Leben nachdenken wollte, konnte einen Löffel mitnehmen – zum späteren Beschriften. Eine Art Löffelliste-to-go. Oder damit den Kaffee umrühren, den es bei der Aktion auch gibt.

Geschichten zur Löffelliste 

Beim Kaffee gibt es im Gespräch noch weitere Erläuterungen zu persönlichen bucket list. Oder kurze Geschichten, die unter die Haut gehen. „Ein 81-jähriger Mann hat erzählt, dass er gerne noch mal seine Familie sehen möchte“, erzählt Anna-Lena Passior. Denn das hat er seit vielen Jahren, seit dem es zu einem Streit gekommen ist, nicht. Eine andere Begegnung schildert Charleen Horoba, derzeit Gemeindeassistentin in den hannoverschen Pfarreien St. Joseph und St. Maria und ebenfalls bei der Aktion dabei: „Eine junge Frau, Ende 20, sagt fast beiläufig, dass Menschen zu wenig auf ihre Gesundheit achten.“ Sie ist krebskrank. 

Aber es gibt überraschende, humorvolle Episoden. Wie die ältere Frau, so Charleen Horoba, die bei Blick auf die lange Liste auf der Tafel sagt: „Habe ich alles schon gemacht.“ Klingt nach einem erfüllten Leben.

Unter Strich zeigen sich viele Passant*innen überrascht, dass es die Katholische Kirche ist, die mit dieser Tafel die Frage nach der persönlichen bucket list stellt. Keine Sekte oder eine eher esoterische Gruppe. Die Rückmeldungen, sagen Charleen Horoba und Anna-Lena Passior, sind durchweg positiv. Vielleicht auch, weil mit der Frage auf der Tafel nach dem, was man vor dem Tod noch machen will, eine weitere Frage für den Hinterkopf verbunden ist: Was wirklich im Leben trägt. 

Rüdiger Wala