Christliches Hannover im Mittelalter

Zukunft würdigt Geschichte: Das ist der Leitgedanke des 300-jährigen Jubiläums von St. Clemens. Aber welche Geschichte wird hier geschrieben? Unsere Autorin Martina Stabenow setzt in vier Folgen Akzente dieser Vergangenheit - und sie beginnt weit vor dem Weihedatum der heutigen Basilika, Teil 1: Christliches Hannover im Mittelalter

Die Kirchen in Hannovers Altstadt sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. Sie sind nicht nur Zeugnis mittelalterlicher Baukunst, sondern ein wichtiger Teil unserer Kulturgeschichte.

Dort, wo alles begann

Das Hohe Ufer in Hannovers Altstadt ist ein geschichtsträchtiger Ort: Früher wie heute zog dieser Teil des Leineufers die Menschen an.

Rund um das Hohe Ufer hat sich nicht nur der älteste Flohmarkt Deutschlands etabliert - erst im letzten Jahr feierten Flohmarktliebhaber seinen 50.Geburtstag.

Auch im frühen Mittelalter war diese Uferzone beliebt. Damals schätzen sie die Menschen, weil sie einige existentielle Vorzüge bot. Das Leineufer ist dort relativ hoch gelegen ist und gewährte somit Schutz vor Hochwasser und berschwemmungen. Zudem soll sich in dem Bereich eine seichte Furt befunden haben, die das berqueren der Leine erleichterte und als Pferdetränke genutzt wurde. Insgesamt Grund genug, um dort sesshaft zu werden. Etwa 950 n. Chr. entstand in der nahen Umgebung des Hohen Ufers eine Marktsiedlung. Sie gilt als der älteste Ort der Stadt.

Kirchen gehören selbstverständlich zum Leben

Das mittelalterliche Hannover umfasste etwa das Gebiet der heutigen Altstadt.

Ausgrabungen in diesem Areal haben die Fundamentreste von zwei Kirchen zu Tage befördert, die Mitte des 12. Jahrhunderts errichtet wurden. Im Zentrum des damaligen Hannovers gab es ab etwa 1125 eine romanische Pfarrkirche mit dem Namen St. Georgii. Außerdem stand am südlichen Stadttor die Aegidienkirche, die vermutlich um 1150 geweiht wurde. Beide Gebäude waren Vorgänger von den Kirchen, die heute an deren Stelle stehen.

Im Mittelalter war es völlig normal, dass die Kirche und die christliche Religion alle Lebensbereiche der Menschen beeinflussten. Für die Mehrheit der Bevölkerung wäre ein Leben ohne die Kirche nicht vorstellbar gewesen. Die regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst stellte eine wichtige Ausdrucksform von Frömmigkeit dar. Aber auch Wallfahrten und vor allem die Heiligenverehrung spielten für die in Hannover lebenden Menschen eine wesentlichen Rolle. 

 

Heilige als Kirchenpatrone

Die Namensgebung der ersten hannoverschen Kirchen weist durchaus auf den Stellenwert der Heiligenverehrung hin. Patron der Kirche St. Georgii war der Heilige Georg, der wahrscheinlich im 4. Jahrhundert lebte und als ein mutiger Kämpfer galt. Noch heute ist das Bild bekannt, wie er als Ritter auf einem Pferd sitzt und einen Drachen erlegt. Um diesen Patron entwickelte sich im Mittelalter eine vielfältige Verehrung. Als Bezwinger des Bösen stand er speziell für Tapferkeit und Nächstenliebe.

Der Heilige Aegidius, der Namenspatron der Aegidienkirche, soll im 7. Jahrhundert gelebt haben. Die Legende um ihn besagt, dass er einst ein vornehmer Athener gewesen sei und sich eines Tages als Einsiedler im Wald niederließ. Dort habe ihn jeden Tag eine Hirschkuh aufgesucht, die ihm mit ihrer Milch das berleben sicherte. Die Menschen riefen seine Fürbitte vor allem in Situationen der Angst und der Not an. Zudem galt er als Beistand einer guten Beichte und für die Sündenvergebung.

 

Wirtschaftlicher Aufschwung und wachsendes Selbstbewusstsein

Im mittelalterlichen Hannover kreuzten sich große Handelsstraßen und Pilgerwege. Diese besondere geographische Lage zog immer mehr Handwerker und Kaufleute an, die hier ihren Geschäften nachgingen. Als Herzog Otto im Jahre 1241 Hannover das Stadtrecht verlieh, erlangte die Stadt ein wichtiges Privileg: Von nun an konnten seine Bürger ihre Waren ohne Einschränkungen handeln.

Der wirtschaftliche Aufschwung Hannovers stärkte das Selbstbewusstsein seiner Bürger, veränderte damit aber auch deren repräsentativen Ansprüche.

Kirchen waren eine wichtige Ausdrucksform dieses Wandels, denn sie verkörperten im Mittelalter nicht nur rein religiöse Angelegenheiten: Sie galten zudem als ein Symbol von Wohlstand, Unabhängigkeit und Macht einer Stadt.

Sicherlich wollten die Menschen mit dem Bau von prunkvollen Kirchen auch ihre Frömmigkeit widerspiegeln. So erlitten sie doch immer wieder existentielle Bedrohungen, wie Missernten oder die rasante Ausbreitung der Pest. Da die Menschen derartiges Unheil als eine göttliche Strafe deuteten, wollten sie Gott mit repräsentativen Kirchenbauten besänftigen.

 

Kirchen als repräsentatives Symbol

Im Laufe der Zeit konnten die beiden Kirchen den veränderten repräsentativen Ansprüchen ihrer Bürger nicht mehr gerecht werden. Des Weiteren boten nicht mehr genug Platz: Im 13. Jahrhundert war die Einwohnerzahl in Hannover auf mehr als 4000 gestiegen.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begann man mit den Bau von gleich drei neuen Kirchen, die bis heute das Gesicht der Altstadt prägen. Allesamt wurden im gotischen Stil erbaut.

Als erstes stellte man 1333 die Kreuzkirche "St. Spiritus et Crucis" fertig.

Bereits im Bau war außerdem die heutige Marktkirche, die wahrscheinlich 1360 geweiht wurde. Man baute sie um die kleine Vorgängerkirche St. Georgii herum.

Neben dem Patron Georg bekam diese Kirche mit Jakobus noch einen weiteren Patron dazu. Daraufhin sie erhielt den Namen "St. Georgii et Jacobi". Jakobus gehörte zum engsten Jüngerkreis von Jesu und wird als der erste Märtyrer unter den Aposteln verehrt. Er soll im Jahr 43 enthauptet worden sein, weil er das Evangelium verkündete.

Die Marktkirche stand mit ihren beeindruckenden Ausmaßen raumgreifend inmitten der Stadt. Sie war das Symbol schlechthin für den gestiegenen Wohlstand und der gewonnenen Macht.

Die Aegidienkirche errichtete man 1347 ebenfalls an die Stelle ihrer Vorgängerkirche. 

Martina Stabenow