Darf ich zum Fußballgott beten?

Seit Hannover 96 vor einigen Wochen in den Abstiegskampf rutschte, leidet und fiebert seine Fangemeinde mit. Und auch jetzt ist noch nicht klar, ob 96 den Klassenerhalt schafft. So mancher mag dieses Wochenende sogar ein Stoßgebet zum Himmel schicken. Doch darf man das? Kaplan Timm Keßler, Regionaljugendseelsorger und Leiter des TABOR in Hannover, klärt auf.

Herr Keßler, Sie sind FC Bayern-Fan. Gehen Sie dennoch hin und wieder in die HDI Arena und sehen sich ein Spiel von Hannover 96 an?

Eigentlich gehe ich gern ins Stadion. Ich war auch schon einige Male in der HDI Arena. Trotzdem ich Bayern-Fan bin, sehe ich das sehr entspannt, weil ich mir Fußball an sich sehr gerne ansehe. Leider sind Stadionbesuche aus Zeitmangel für mich viel zu selten möglich.

Als Jugendseelsorger und Leiter des TABORs steht die Arbeit mit jungen Menschen im Mittelpunkt. Welche Rolle spielt das Thema Fußball?

Fußball spielt bei den Kindern und Jugendlichen in unserem Haus eine große Rolle. Wir haben hier einen kleinen Bolzplatz. Besonders bei schönem Wetter ist dort eine Menge los.

Dem ehemaligen Papst Benedikt XVI wird folgendes Zitat zugeschrieben: "Fußball ist das Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alltags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und deshalb so schön ist." Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Ich meine, dieses Zitat steht für das, was wir in unserer Freizeit grundsätzlich verwirklichen wollen: von Arbeit und Schule frei werden, um die schönen Dinge im Leben genießen zu können. Verbunden mit einem sportlichen Ernst und der richtigen Herangehensweise ist Freizeit dann eigentlich doppelt so schön.

- Fußball ist keine Religion, hat aber durchaus Elemente von Religion und Kirche - 

Wie erklären Sie, dass Fußball im Leben mancher Fans einen extrem hohen Stellenwert einnimmt?

Gerade im Stadion geht es um das Erleben von Gemeinschaftsgefühl. Insbesondere die richtigen Fans sind dort in einer Gruppe und erleben gemeinsam Freude und Trauer. Dieselben emotionalen Erfahrungen machen Menschen sonst auch in ihrem Leben, doch dann sind sie mit diesen Gefühlen möglicherweise allein.

Die öffentliche Meinung schreibt Fußball im Allgemeinen einen sinnstiftenden Charakter zu und zieht sogar Parallelen zur Religion. Wie beurteilen Sie die Auffassung, dass Fußball eine Religion sei?

Das sehe ich natürlich anders. Fußball ist keine Religion, hat aber durchaus Elemente von Religion und Kirche.

Welche Gemeinsamkeiten zwischen Fußball und Kirche sehen Sie?

Ich komme spontan auf die Situation im Stadion zurück. Wir erleben dort jeden Samstag eine Liturgie. Die Liturgie läuft im Stadion so ab, wie wir es aus der Kirche kennen: Es gibt einen Vorsänger und eine Gemeinde, die darauf antwortet. Beim Aufrufen der Spielernamen sagt der Stadionsprecher den Vornamen, und die Gemeinde brüllt den Nachnamen. Ein anderes Beispiel ist die Fankurve. Dort gibt es die Vorsänger mit Megafon, denen die Fan-Gemeinde antwortet oder das Ganze wiederholt. Das kennen wir auch in der Kirche. Beim Beten von Psalmen oder bei Fürbitten beispielsweise, da gibt es einen Vorbeter und die Kirchengemeinde antwortet.

Gleichwohl Sie zwischen Fußball und Religion eine gewisse Schnittmenge sehen: Was sind Ihrer Meinung nach die maßgeblichen Unterschiede?

Bei unserer christlichen Religion geht es um einen Gott. Wir Christen glauben an den dreieinigen Gott. Beim Fußball im Sinne einer Ersatzreligion geht es um eine Mannschaft, die aber einen ganz anderen Stellenwert einnimmt als Gott für uns Christen hat.

- Beten darf jeder so, wie er möchte. Aber Gott entscheidet kein Fußballspiel -

Wie denken Sie darüber, wenn Fußballspieler und Fans für den Sieg beten?

Davon halte ich nicht viel. Man kann sich das auch bildlich vorstellen: Beide Mannschaften sitzen vor dem Spiel in ihrer Kabine und jede betet um den Sieg. Das würde, wenn es denn so wäre, problematisch werden. Letztendlich würde man eine Sache auf Gott abwälzen, der dann entscheiden müsste. Gott kann in dem Fall nicht helfen, sondern die Mannschaften müssen schon auf sich selber schauen. Ich meine, man kann dafür beten, dass ein Spiel gut wird. Auch kann man um Unterstützung beten, dass man seine Talente abrufen und seine Kraft im Spiel einsetzen kann. Aber Gott entscheidet kein Fußballspiel.

Gibt es somit keinen Fußballgott?

Nein, einen Fußballgott gibt es nicht. Das wäre ein zweiter Gott und den gibt es in unserem christlichen Glauben nicht. Für uns Christen ist Gott derjenige, der alles erschaffen hat, auch uns Menschen. Natürlich hat Gott auch den Fußball erschaffen, weil Fußball etwas Lebendiges ist, das wir Menschen ausführen.
Doch der Fußballgott, den die Menschen manchmal herbeirufen oder anflehen, ist eher ein Verweis auf das Schicksal. Geht ein Schuss knapp am Tor vorbei, liegt es nicht an einem Fußballgott. In dem Fall muss man die genauen Gründe analysieren, warum der Spieler den Ball nicht richtig getroffen hat.

Wie sehen Sie es, wenn zu einem Fußballgott gebetet wird?

Beten darf jeder so, wie er möchte. Die Frage ist, welchen Sinn hat das Beten, was soll bezweckt werden? Letztendlich kann man für alles beten, doch die Umsetzung entscheidet allein Gott. Und Gott hält sich nicht an irgendwelche Fußballregeln.
Ebenso passt es nicht mit dem christlichen Glauben zusammen, dass manchmal bestimmte Fußballspieler als Fußballgott bezeichnet werden. Ich denke beispielsweise an Maradona, dem früher die Hand Gottes zugesprochen wurde. Das ist eine Glorifizierung von Menschen, die mit unserem Glauben nicht zu vereinen ist.

Herr Keßler, wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und wünschen Ihnen weiter viel Erfolg bei Ihrer Arbeit im TABOR.

Marie Kleine