Der Boxmeister darf bleiben

Caritasdirektor Hans-Jürgen Marcus zog eine Bilanz der Härtefallkommission

Wer in der Schule oder im Sport erfolgreich ist und wirtschaftlich gut dasteht, kommt durch. Aber bildungsferne, ältere, behinderte, alleinerziehende oder traumatisierte Menschen haben kaum eine Chance. Dr. Hans-Jürgen Marcus, Direktor des Caritasverbandes im Bistum Hildesheim und ehemaliges Mitglied der niedersächsischen Härtefallkommission, zog am Donnerstagabend im ka:punkt, dem katholischen Treffpunkt in der Innenstadt von Hannover, eine ernüchternde Bilanz ihrer Arbeit. Im Sommer war Marcus, der in der Härtefallkommission die freien Wohlfahrtsverbände vertreten hatte, aus Protest aus dem Gremium ausgeschieden. Die Kommission prüft, ob bei Flüchtlingen, die eigentlich abgeschoben werden sollen, aus persönlichen oder humanitären Gründen eine Ausnahme gemacht werden kann. Solche humanitären Gründe, also die Schutzbedürftigkeit von Menschen ganz unabhängig von ihren persönlichen Verdiensten, werden jedoch von der Kommission viel zu wenig berücksichtigt, kritisiert Marcus.

Seine Erfahrung: Mit den Jahren ist die Bereitschaft gewachsen, Anträge zu befürworten, wenn die Person wirtschaftlich gut integriert ist. Sprich: wenn sie den Lebensunterhalt für sich und eventuell ihre Familie selbst bestreiten kann. Auch als der Landesmeister im Kickboxen von der Abschiebung bedroht war, hatte er die Kommission sofort an seiner Seite. Aber Menschen, die Hilfe brauchen, würden in diesem Experten-Gremium als Einwanderer in die Sozialsysteme diskreditiert. Ein typischer Fall sind ältere Roma. Ihre Lebensleistung, zahlreiche Kinder großgezogen und auf den Weg der Integration gebracht zu haben, werde nicht anerkannt, kritisierte Marcus. Unsere Forderung, in der Präambel der Verordnung über die Härtefallkommission humanitäre Gründe explizit zu nennen, wurde überhaupt nicht gehört.

Der Caritasdirektor nannte Zahlen:  Seit Mitte 2011 wurden 680 Eingaben gemacht, aber davon nur 234 abschließend beraten.  136 Mal empfahl die Kommission schließlich dem Innenminister, dem Flüchtling ein Bleiberecht zu gewähren.  In 110 Fällen folgte er diesem Votum, allerdings häufig mit Einschränkungen, zum Beispiel einer Befristung.  Ein Antrag ist nur aussichtsreich, wenn er von einem guten Anwalt oder einer Beratungsstelle formuliert ist, weiß Marcus.  Doch Anwälte, die auf diesem Gebiet Expertise besitzen, sind rar und müssen von den Flüchtlingen selbst bezahlt werden. Sachlich, hat Marcus erlebt, sind die Entscheidungen der Kommission oft nicht: Kinder emotionalisieren positiv. Jugendliche, die ein bisschen rauhbeinig sind, haben große Schwierigkeiten.

Inzwischen ist die Härtefallkommision wieder vollzählig, doch die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ist nicht mehr dabei. Die Vertreterin der Vereins für interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit Kargah e.V., die an ihrer Stelle den Sitz eingenommen hat, spricht nicht für die Wohlfahrtsverbände, stellte Marcus klar. Im Moment werden so viele Fälle positiv beschieden wie nie zuvor, beobachtet er. Aber er vermutet, dass dahinter wahltaktische berlegungen stehen: Das Innenministerium habe kein Interesse, vor der Landtagswahl die Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

pkh