Der Kümmerer

Auf einen Plausch mit einem Mörder? Oder auf einen Ausflug mit Dieben? Horst Labitzke hat das zusammen mit dem St.-Heinrichs-Kreis in der Justizvollzugsanstalt Hannover gemacht. ber 30 Jahre lang.

Wie knackt man einen VW Käfer? Zugegeben, einen auch schon vor drei Jahrzehnten uralten Wagen. Horst Labitzke weiß das. Weil er sich um Menschen kümmert, die als Knackis bezeichnet werden. Sei 1981 ist der jetzt 79-Jährige beim St.-Heinrichs-Kreis dabei, der Monat für Monat Angebote in der Justizvollzugsanstalt Hannover (JVA) macht allerdings nur noch bis Mitte September (siehe unten).

Vieles hat sich in den Jahren seines Engagements verändert. Etwas, dass Labitzke außerordentlich bedauert: Sie glauben gar nicht, was früher alles möglich war und das war gut: für die Gefangenen und für uns. Das führt zurück zum VW Käfer.

Denn damals konnte der St.-Heinrichs-Kreis noch Dinge mit den Gefangenen unternehmen, die heute undenkbar erscheinen: Ausflüge. Am Samstag, einen ganzen Tag lang: Morgens um 10 Uhr abgeholt, abends um 20 Uhr wieder rein, erzählt Labitzke. Zum Beispiel an den Duinger See, zum Picknick und Schwimmen. Nur war danach der Autoschlüssel eines Engagierten weg. Verloren. Nicht wieder zu finden. Eben für jenen uralten Käfer.

Ein Tennisball knackt den VW Käfer

Wie kommt jetzt aber die Gruppe rechtzeitig wieder zur JVA zurück? Da haben zwei Gefangene gesagt, geht doch mal zur Seite.  Und, zackzack, war der Wagen geknackt und kurzgeschlossen. Einfache bung mit Tennisball, technischem Wissen und Fingerfertigkeit.

Das Beispiel zeigt: Es waren durchaus Jungs mit einigem auf dem Kerbholz, um die sich Labitzke und der St.-Heinrichs-Kreis gekümmert haben. Diebe, Scheckbetrüger, Zuhälter, Gewalttäter, Schläger. Auch Mörder? Ja, auch Mörder und um die habe ich mich besonders gern bemüht, sagt Labitzke.  Denn: Mörder töten meistens nur einmal und sie bereuen, berichtet Labitzke aus vielen Gesprächen.

 

Er selbst ist gelernter Buchdrucker, war Oberleutnant der Reserve und dann Schulassistent an der St.-Ursula-Schule. Einer, der Autorität ausstrahlt. Einer der zuhören kann. Und einer, für den Kümmern eine Herzensangelegenheit ist. Zudem  ist es Ausdrucks seines Verständnisses als Christ: Wir müssen den Gefangenen als Menschen begegnen und zeigen, dass Kirche weit mehr ist als Singen und Beten. Begegnen, unvoreingenommen.

Deshalb hat er so lange es ging die Ausflüge organisiert. Einmal im Jahr eine Pilzwanderung, bei der der Ertrag hinterher zubereitet und verspeist wurde. Oder Kegeln im Pfarrheim. Oder eine Weihnachtsfeier in der St. Ursula-Schule, bei der Lehrer zuvor Kleidung gespendet hatten. Am Rezept für den alkoholfreien Punsch hat Labitzke lange probiert: Schmecken muss es. Für ihn auch ein Zeichen der Wertschätzung.

Gespielt wurde und wird auch.: Skat-Turniere mit Kaffee und Tabak als Preise. Er erinnert sich an ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel mit Ordensfrauen, Mönchen und Teufeln als Figuren: Man muss auch Humor haben ganz wichtig. Auch so erreicht man sein Gegenüber.

Irgendwann war es dann vorbei mit den Ausflügen. Verschärfte Sicherheitsbestimmungen. Engagement nur noch innerhalb der Gefängnismauern. Labitzke bedauert das sehr: Das hat unsere Möglichkeit sehr eingeschränkt und auch den Kontakt zu den Insassen.

Beim St.-Heinrichs-Kreis haut keiner ab

Hat er nie Angst gehabt, dass mal einer stiften geht? Nein, nie, sagt Labitzke mit Nachdruck: Denn es gab ein ungeschriebenes Gesetz: Beim St.-Heinrichs-Kreis haut keiner ab. Dieses Gesetz wurde nicht gebrochen.

Auch über den Kreis hinaus setzt sich Labitzke für Haftentlassene ein, lässt sie auch bei sich und seiner Familie im Haus wohnen. Erlebt hat er dabei fast alles. Die Knackis, die die Kurve gekriegt haben: Job gefunden und Familie gegründet, einer hat sogar die Generalvertretung für ein deutsches Unternehmen in Thailand übernommen. Aber auch die, die rückfällig geworden sind: Bei manchen konnte man darauf wetten, dass die bald wieder vor einem stehen. Mehr als die Hälfte des Lebens im Knast? Auch denjenigen ist Labitzke begegnet.

Und es gibt die ganz tragischen Geschichten: Pläne, wieder auf die Füße zu kommen, Scheitern, Selbstmord. In solchen Momenten könnte ich heulen, sagt Labitzke. Aber wichtig bleibt für ihn: Gefangenen ohne Frömmelei begegnen. Den Menschen sehen ohne die Opfer zu vergessen.  Das, so hofft er, setzen jetzt andere fort.



Nach 44 Jahren ist Schluss

Für den Leiter der Justizvollzugsanstalt Hannover, Matthias Bormann, hat der St.-Heinrichs-Kreis vor allem eines geleistet: Unzählige Male einen Beitrag zur Resozialisierung von Insassen und aus der Haft Entlassenen. Durch Zuhören und Spielen, früher auch durch Ausflüge und nicht zuletzt schlicht durch Zuwendung.

Doch das hat jetzt ein Ende. Nach 44 Jahren löst sich der St.-Heinrichs-Kreis im September auf. berwiegend aus Altersgründen haben sich die Ehrenamtlichen entschieden, ihr Engagement zu beenden, sagt Gefängnisseelsorger Winfried Wingert voller Respekt über den Einsatz und die Entscheidung.

Heimlich ist der Abschied aber nicht: Gewürdigt wird der St.-Heinrichs-Kreis am 12. September mit einer Feierstunde in der JVA.

Rüdiger Wala