Die Seele hinter der Jugendarbeit

Aufbauhelferin im Tabor: Beate Suchan

Buchführung und Verwaltung ist für Beate Suchan eine Sache von offenen Ohren und großem Herz – gerade in einer Einrichtung wie dem jugendpastoralen Zentrum Tabor im Hannover. Mit ihr geht eine Aufbauhelferin der ersten Stunde in den Ruhestand.

Kinder- und Jugendarbeit in der Kirche: Das sind Ferienwochen, Zeltlager, Musikevents, Gruppenstunden, Hausaufgabenbetreuung, kreative Angebote, besondere Gottesdienste und vieles mehr. Das ist im Licht. Aber Kinder- und Jugendarbeit ist auch: Anmeldungen entgegennehmen, Fördermöglichkeiten ausloten, Anträge bei der zuständigen Kommune stellen, Dokumentationen erstellen und abrechnen. Bis auf den letzten Cent, manchmal sogar bis auf den letzten zerknüllten Kassenzettel für den ungeplanten Spontaneinkauf im benachbarten Supermarkt.

Das ist nicht so im Blick. Aber das war über ein Vierteljahrhundert die Arbeit von Beate Suchan. Sekretariat und Verwaltung, die „Sacharbeiterin“. Da geht’s um Telefon und Briefverkehr, um Beziehungspflege zu Gemeinden und Verbänden, um eben jene Kassenzettel. Vor allem aber erste Ansprechpartnerin für Kontakte. Die Seele hinter der Jugendarbeit. Das war Beate Suchan erst im katholischen Jugendbüro in Hannover und dann im jugendpastoralen Zentrum Tabor, das vor allem eines möchte: Kinder und Jugendlichen ein Raum geben, in dem sie sich entwickeln können – von mehr Mathe- und Deutschkenntnissen angefangen über kulturelles und gesellschaftliches Engagement bis hin zu ihrer Spiritualität.

Nicht hinter Aktenordnern verstecken

Hinter Aktenordnern versteckt hat sich Beate Suchan nie – weder im Jugendbüro noch im Tabor: „Ohne offene Ohren kann man so eine Arbeit nicht machen“, ist die jetzt 64-Jährige überzeugt: „Die Kinder und Jugendlichen kommen und rauchen jemanden zum Zuhören und Reden.“ Da spielt es keine Rolle, wer welche Funktion in einem Jugendzentrum hat. Es nicht von Bedeutung, welche Konfession auf dem Taufschein oder welche Nationalität im Reisepass steht. Wichtig ist die Haltung: „Ein großes Herz“, beschreibt es Beate Suchan. Verbunden mit dem Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen.

Vielleicht liegt diese Haltung in der Lebensgeschichte von Beate Suchan begründet. Geboren ist sie in der Nähe von Oppeln in Polen. In einem kleinen Ort am Fuße des St. Annabergs. Sie macht eine Ausbildung, wird schließlich Referentin für Ausbildung und Soziales in einem Handelsbetrieb: 700 Mitarbeiter*innen, darunter auch eine große Anzahl von Praktikanten und Lehrlinge. Für die ist Beate Suchan da – und für die, die nicht mehr im Betrieb arbeiten und in Rente gegangen sind: „Wir haben für die Ehemaligen Treffen organisiert. So groß waren die Möglichkeiten nicht.“

Als sich das Bild Europas 1989 dramatisch umgestaltet, kommt Beate Suchan mit Mann und Sohn nach Deutschland. Die Situation in Polen bot keine Perspektive mehr, alles bricht weg. Ein mutiger Schritt, denn: „Eigentlich waren wir mittellos“, erzählt sie. Mehr noch: Das, was sie gelernt hat, wird nicht anerkannt. „Fachschule, Fortbildung und Nebenjobs“, fasst Beate Suchan ihr Leben in der Wendezeit zusammen. Durchkommen durch den Alltag und lernen, um eine Perspektive zu haben. Das ist für Beate Suchan eine bleibende Erinnerung. Für die Kinder und Jugendlichen, die sich Woche für Woche im Tabor einfinden, ist das ihre aktuelle Lebenswirklichkeit.

"Etwas Neues, Ungewöhnliches, Besonderes"

Das führt zum Herzblut, mit dem Beate Suchan ihre Arbeit macht – vor allem von 2005 an, als das jugendpastorale Zentrum Tabor mitten in Hannover aufgebaut wird: „Das war echt was Neues, was Ungewöhnliches, was Besonderes.“ Ein offener Treffpunkt für Kinder und Jugendliche, mit Café, mit Hausaufgabenhilfe, mit kulturellem Freiraum, vor allem bewusst mit spirituellen Angeboten: alles im Zusammenspiel von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen.

Wobei die ehrenamtlichen Teamer*innen kaum älter sind als die Nutzer*innen des Tabor. „Wir haben da immer wieder viele Gespräche geführt über das, was funktioniert und was nicht“, erinnert sich Beate Suchan. Die neue Einrichtung muss bekannt gemacht werden, schließlich will sie ja über den katholischen Dunstkreis hinauswirken. Gleichzeitig geht es darum, die Jugendverbände mit einzubeziehen. Schnell kommen auch die ersten Anfragen aus dem Eichsfeld und aus dem Norden des Bistums, ob man nicht was im Tabor, in der Landeshauptstadt machen kann: „Hier hat sich ein großes Netzwerk aufgebaut.“

Musik war und ist wichtig im Tabor. Vor allem die kleine Konzertreihe am Freitagabend, die gerade ruhen muss oder ins Internet verlagert ist. „Plattform für Jugendbands zu sein ist toll, zumal viele von ihnen auch im christlichen Umfeld entstanden ist“, meint Beate Suchan. Für die Tabor-Jugendlichen ist Musik ein wichtiges Werkzeug, um sich auszudrücken. Aktiv am Instrument oder in dem sie sich Gedanken über Texte machen.

Jugendliche erreicht, die niemals in eine Kirche gehen

Vom Gedanken zur Spiritualität: „Im Tabor haben wir so ziemlich alles gefeiert“, erzählt Beate Suchan. Taufen oder Wiederaufnahmen in die Kirche waren darunter, große Gottesdienste in der direkt benachbarten Herz Jesu Kapelle. Nicht unumstritten war das Spenden der Firmung: „Da hieß es, wir würden di Jugendlichen aus den Pfarreien abwerben.“ Für Beate Suchan eine falsche Sicht der Dinge: „Wir haben Jugendliche erreicht, die nie in eine Gemeinde gehen würden.“ Kirche sein – das geht an vielen unterschiedlichen Orten. Eben auch und gerade im Tabor.

Doch jetzt geht mit Beate Suchan die Aufbaukraft der ersten Stunde in Rente. Mit zwiespältigen Gefühlen. Nicht zuletzt, weil ihr Mann nach über 40 Jahren Ehe im letzten Jahr unerwartet verstorben ist. Die Freude auf gemeinsame Jahre im Ruhestand – verloren: „Das hat mich schon aus der Bahn geworfen.“ Ein Trost ist jetzt neun Jahre alt, die Enkelin, die gleich neben Beate Suchan wohnt. Reisen ist ein anderer Wunsch von Beate Suchan.

Aber erst: „Durchatmen, meinen Rhythmus finden.“ Dann darf es auch wieder etwas Ehrenamt sein. „Vielleicht mit älteren Menschen“, sagt Beate Suchan. Da passt es wieder mit offenen Ohren und einem großen Herz.

Rüdiger Wala