Eine Wohnung ist wichtig

Die Einladung war ungewöhnlich. Der Caritas-Treffpunkt für Obdachlose hat die Besucher des Sonntagsgottesdienstes der benachbarten Basilika St. Clemens auf einen Kaffee eingeladen. Warum? Das hat die KiZ dessen Leiter Steven Filitz gefragt ? und warum Obdachlosigkeit nicht nur ein Thema für Wintermonate ist.

Wie kam es zu der Einladung an die Gottesdienstbesucher von St. Clemens?

Die Basilika feiert in diesem Jahr ihren 300-jährigen Geburtstag. Da haben wir uns gedacht, das wir mal den Spieß umdrehen: Warum können nicht die Gottesdienstbesucher aus Anlass des Jubiläums von St. Clemens zu uns eingeladen werden? Uns war der Perspektivwechsel wichtig. Außerdem: Normalerweise können Menschen, die auf der Straße leben sonst niemanden zu sich einladen. Sie haben halt kein Zuhause.

Wie war der Zuspruch?

Ich bin mit dem Zuspruch sehr zufrieden: Viele Gemeindemitglieder haben nach dem Gottesdienst den Weg zu uns gefunden. So konnten wir doch die eine oder andere Angst vor der Schwelle unseres Treffpunktes abbauen.  Sicher, von unseren Leuten hätten noch ein paar mehr kommen dürfen. Aber sie haben sich dann wohl doch nicht so richtig getraut.

Ist dieses Unsichtbarmachen ein typisches Verhalten von wohnungslosen Menschen?

Das ist relativ oft so. Soziale Isolation ist ein großes Problem. Unsere Leute verschwinden häufig von der Bildfläche. Ihre Platten, also die Orte, wo sie schlafen und ihr Hab und Gut lagern, sind gut versteckt. Wir haben so das Bild von Wohnungslosen, dass sie in den Eingängen der Läden in der Fußgängerzone liegen. Das stimmt aber nicht. Die meisten halten sich versteckt.

Wie viele Menschen in einer Großstadt wie Hannover sind ohne ein eigenes Obdach?

In Hannover sind derzeit 1100 Menschen in behelfsmäßigen Notunterkünften untergebracht alles andere als annehmbar. Etwa 500 Menschen schlafen wirklich auf der Straße und um die 2000 Menschen  schlafen mal bei dem einen oder bei dem anderen Kumpel. 350 Wohnungslose leben in stationären Einrichtungen, wo sie auch therapeutische Hilfen erfahren.

Befürchten Sie, dass die Zahlen noch ansteigen?

Es sind einfach mehr Leute auf der Straße auch weil bezahlbare Wohnungen in den Städten immer knapper werden. Eine Entwicklung, die es auch bundesweit gibt. 2016 waren um die 860 000 Menschen wohnungslos, die Prognose liegt für 2018/19 bei 1,2 Millionen. Das sind mehr als die Stadt Köln, immerhin die viertgrößte Stadt Deutschland, Einwohner hat.

Es wird Frühling, viele Hilfen konzentrieren sich auf kalte Monate. Gibt es dennoch sozialpolitische Initiativen?

Das ist natürlich ein Problem. Wenn?s kalt ist, wird Obdachlosigkeit zum Thema, im Sommer ist es nicht so interessant. Dennoch entwickelt sich sozialpolitisch etwas: In Hannover beispielsweise haben Vertreter der Wohnungslosenhilfe mit verschiedenen Wohnungsunternehmen Verträge zugunsten von Obdachlosen geschlossen. Ein erster Schritt, aber es muss mehr passieren.

Was ist entscheidend: die Wohnung oder andere, direkte Hilfen?

An erster Stelle steht die Wohnung. Sie ist der erste Schritt in die Normalität. Psychische Krankheiten oder die Sucht bekämpfen, einen Arbeitsplatz suchen das klappt auf der Straße nicht. Insofern: Eine Wohnung finden und weiter begleiten. Nur so finden Menschen auch nach zehn Jahren Straße den Weg zurück.

Rüdiger Wala