Enttäuschung, Wut, Zorn und tiefe Betroffenheit

Sexueller Missbrauch war Thema in den Sonntagsgottesdiensten

Viele Gläubige im Bistum Hildesheim und besonders auch hier in Hanno­ver reagierten auf die jetzt bekanntgewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch durch Pa­tres vom Jesuitenorden mit Enttäuschung, Wut, Zorn und vor allem mit tiefer Betroffenheit, sagte Regionaldechant Propst Martin Tenge im Sonntagsgottesdienst in der Basilika St. Clemens. Ihn selber habe das Thema besonders berührt, da er selbst auch Priester sei und fünfzehn Jahre als Jugendseelsorger im Bistum Hildesheim gearbeitet habe.

Tenge verlas im Gottesdienst ein Wort des Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle. Der Bischof drückt in diesem Schreiben den Opfern sein tiefstes Mitgefühl aus und versprach ihnen Begleitung und Hilfe. Er bat darum, dass sich die, die unter sexuelle bergriffen durch katholische Priester gelitten hätten, melden sollen. 

Propst Tenge begrüßte den offensiven Umgang der Bistumsleitung in Hildesheim mit dieser Situa­tion: Ich finde es gut, dass ein Aufruf gestartet wurde, dass sich Menschen, die durch einen Seelsorger missbraucht wurden, melden sollen. So etwas gab es in der katholischen Kirche in Deutschland meines Wissens noch nicht. In seiner Predigt richtet Tenge den Blick auf die Opfer: Ich zolle den Opfern einen riesen Respekt, da sie noch einmal ihre Wunden von damals aufreißen und von dem unsäglichen Leid berichten, das ihre jungen Seelen damals erlitten haben. Ihnen gehöre sein Mitgefühl. Denn, so sei ihm in Gesprächen mit Opfern klar geworden:  Die Zeit heile nicht alle Wunden. Die schrecklichen Wunden der Miss­brauchsopfer kann sie nicht heilen. Der Seelsorger hofft, dass durch die Offenlegung ihrer Erlebnisse, die Kirche auch ihren Mangel und ihre Schuld aufarbeite und selber die Erfahrung mache, um Verzeihung bitten zu müssen, statt sich als Verwalterin des Verzeihens Gottes an den Menschen zu verstehen. In der Vergangenheit, so Tenge, habe die Kirche zu oft geschwiegen: "Auch die Institution trägt eine Mitschuld!"

Tenge lenkte den Blick auch auf die Täter. Ihre Taten müssten sie verantworten und die kirchenrechtlichen wie strafrechtlichen Konsequenzen tragen. Und danach? ­ Tenge stellte die Frage im Bewusstsein, keine Antwort darauf zu haben: Aber können wir diese Menschen einfach fallen lassen? Kann man sie noch in der Kirche einsetzen in Bereichen, wo sie absolut keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben? Auch hiermit und mit der ganzen Thematik des sexuellen Missbrauchs durch Priester müsse sich die Bischofskonferenz, die demnächst tagt, intensiv auseinandersetzen besonders auch mit der Frage, wie man den Opfern helfen kann.

Tenge appellierte, so wie auch Bischof Trelle, nicht nur den Priesterstand ins Visier zu nehmen. Vielmehr sei es eine Aufgabe der Gesellschaft in allen Bereichen genau hinzuschauen und vor sexuellem Missbrauch nicht die Augen zu verschließen, sondern zu handeln.

(pkh)