Farbenfroh – und mit deutlichen Worten

Ökumenisches Kirchenzelt beim Tag der Arbeit auf der Goseriede in Hannover. Mitmachaktionen, Ausstellung und der Talk an der Weltkugel

Schön war’s, laut war’s und kämpferisch auch – beim Ökumenischen Kirchenzelt bei der DGB-Kundgebung zum Tag der Arbeit und dem Fest der Demokratie. Zum gemeinsamen Angebot des  evangelischen Stadtkirchenverbandes Hannover und der Katholischen Kirche wurde bereits zum 16. Mal eingeladen – und zum zweiten Mal war das Zelt in der Ruine der Nikolaikapelle auf der Goseriede aufgebaut.

Der Leitgedanke des Zeltes: „Farbenfroh und vielfältig“, ein Ort zum Treffen und mit Mitmachgelegenheiten für Klein und Groß. Kaffee und Kekse gab es, beim Glücksrad was zu gewinnen (Taschenlampen, Powerbanks, Frisbees oder eine Überraschung), Freundschaftsbänder wurden geknüpft.

An den Zeltwänden jedoch Kontrapunkte: Fotografien erzählen von Miro, der Reinigungskraft, Ramona, der Kassiererin und Anna, die in einem Call Center im Schichtbetrieb Kund*innen telefonisch berät. Was sie eint: prekäre Arbeitsbedingungen. Schlecht bezahlt, rechtlich unsicher, mangelnd geschützt. Was sie auch eint: Ihre Arbeit ist unverzichtbar. Daher hat die katholische Arbeitnehmer-Bewegung, die diese Ausstellung erarbeitet hat, den Titel „Die unsichtbaren Kronen“ gewählt. Bilder, die zeigen, wie wertvoll diese Arbeit ist – und dass das Überwinden ihrer prekären Bedingungen einer gemeinsamen Anstrengung bedarf.

Stichwort gemeinsame Anstrengung: Getalkt wurde auch zur Frage „Mehr Respekt. Mehr Vielfalt. Mehr Miteinander.“ Aber wie?“: Eine Antwort gab es von Bernd Lange, Mitglied des Europäischen Parlamentes und SPD-Kandidat zur Europawahl: Für ihn ist Europa eine Erfolgsgeschichte der Versöhnung, die es gegen Rechte und Autokraten zu verteidigen gilt. Mindestlohnrichtlinie, Tariftreue, Sicherheit für Arbeitnehmer*innen, die auf Plattformen (zum Beispiel Lieferdiensten) arbeiten – das alles stärkt soziale Gerechtigkeit in Europa: „Das dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen?

Mizgin Ciftci, Verdi Gewerkschaftssekretär für den Einzelhandel klagte die Tariftreue von Handelsunternehmen ein: „Der Einzelhandel ist der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland.“ Mehr und mehr habe es Ver.di mit großen Konzernen zu tun, die die Tarifbindung aushöhlen. Soziale Verantwortung wird da zum Fremdwort: „Im Handel trifft das vor allem Frauen, an den Lagerstandorten Menschen mit Migrationshintergrund.“ Daher sei klar: „Arbeit darf nicht arm machen.“

Eva Bender, seit zwei Monaten Dezernentin für Bildung und Kultur der Landeshauptstadt Hannover, hob die Anstrengungen der Stadt für mehr Respekt in den Stadtteilen und Schulen hervorhob. Mit Respekt Coaches können zielgenau Angebote gemacht werden. Damit Mobbing und Menschenfeindlichkeit keinen Platz haben. Vielfalt ist wichtig in einer Stadt – aber es muss auch etwas dafür getan werden, dass es die Dialoge gibt, die diese Vielfalt im Miteinander ermöglichen.

Für Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes vom Stadtkirchenverband für den Respekt etwas mit Anerkennung zu tun – und das gilt für jeden Menschen guten Willens. Die Kirchen engagieren sich dafür, bringen sich ein, mit Ehrenamtlichen und mit Angeboten, „in ein Miteinander, das nicht immer unbedingt leicht ist“. Es ist immer ein Versuch und eine Herausforderung: „Aber ich denke, wir sind da gut unterwegs.“

Leyla Hatami, Co-Vorsitzende SPD-Unterbezirk Region Hannover, rief eindringlich, dass in einer Demokratie Hass und Hetze keinen Platz haben dürfen. „Rechte Kräfte versuchen die Gesellschaft zu spalten – und das dürfen wir nicht zulassen.“ Die Demokratie wurde erkämpft: „Wenn sie wie jetzt gefährdet ist, müssen wir aufstehen, da dürfen wir nicht nachlassen.“ Dabei sind sowohl große Demonstrationen wichtig als auch das tägliche Einüben in Demokratie: „Das fängt in der Kita und der Schule an.“

Für Propst Wolfgang Semmet von der Katholischen Kirche in der Region Hannover gehören Solidarität, Völkerverständigung, Menschenwürde und Nächstenliebe zur DNA einer jeden christlichen Gemeinde: Nur so kann es gelingen, dass den Menschen, denen es heute nicht gut geht, morgen ein Stück besser geht. Da packen Christ*innen handfest an: Sei es mit Angeboten wie der Ökumenischen Essensausgabe in Hannover in den Wintermonaten, dadurch wie die KAB den Blick auf prekäre Arbeit zu lenken oder unlängst wie Jugendliche in der 72-Stunden-Aktion die Welt ein Stück besser gemacht haben. Zum Beispiel mit einer Kaffeetafel für die Besucher*innen der Bahnhofsmission vor, mit dem Bau von Insektenhotels oder mit einem Familienfest inmitten des Neubaugebietes Kronsberg-Süd, wo es zwischen Baukränen noch keine Möglichkeiten zum Treffen gibt.

Rüdiger Wala