Flucht auf das Schafott?

Dialoge der Karmelitinnen in der Staatsoper Hannover: Was sagen Ordensfrauen des Karmels St. Josef zu der aktuellen Inszenierung des 1957 uraufgeführten Werkes von Francis Poulenc? Ein Opernbesuch mit Nachwirkungen.

An einer Stelle hat Dr. Swantje Köhnecke, Dramaturgin an der Staatsoper Hannover die Lacher auf ihrer Seite. Sie hat herausgefunden, warum die Dialoge der Karmelitinnen zwar seit der Uraufführung 1957 eine viel aufgeführte Oper ist, aber erst über ein halbes Jahrhundert später erstmals in Hannover zu sehen ist: Sie war dem Haus wohl zu katholisch, sagt sie zur Einführung.

In der Tat: Nicht nur der Titel der Oper ist katholisch, auch die Geschichte. Es ist die der 16 Märtyrerinnen des Karmels von Compiègne, 80 Kilometer nördlich von Paris. Sie wollen während der Terrorphase der Französischen Revolution nicht ihrem Glauben abschwören und werden am 17. Juli 1794 in Paris durch die Guillotine hingerichtet. Die Ordensfrauen gehend singend auf das Schafott Veni creator spiritus (deutsch: Komm, Schöpfer Geist).

Angst und Terror, Flucht und Opfertod

Das Schicksal der Karmelitinnen bildet den Hintergrund der eigentlichen Geschichte: Die junge Blanche de la Force sucht ihr Heil im Karmel fern von der bisherigen ihr so viel Angst machenden Welt, mit den Schrecken der Französischen Revolution für ihre adelige Familie. Diese Angst ist auch im Karmel ihr ständiger Begleiter. So nimmt sie den Namen Blanche von der Todesangst Christi an. Sie flieht, als die Kommissare der Revolution die Schwestern drängen das Kloster zu verlassen. Die Karmelitinnen beschließen in den Opfertod zu gehen, um den Glauben in Frankreich durch ihr Martyrium zu retten. Am Schluss findet Blanche doch den Mut, als letzte den Weg zum Henker anzutreten.

Der Kunstgriff  der Oper: Sowohl der Komponist Francis Poulenc als auch die Schriftstellerin Gertrud von le Fort, die die literarische Vorlage 1931 geschrieben hat, zeichnen nicht nur die Geschehnisse nach. Sie versetzen mit Blanche eine Figur mit den Glaubensfragen der 1930er und 1950er Jahre in die Französische Revolution. So treten in den Dialogen der Karmelitinnen zwischen Blanche und der Priorin oder ihrer Mitschwester Constance immer wieder zentrale Glaubensfragen in den Mittelpunkt: Welche Bedeutung hat das Gebet? Was meint die Freiheit, eins mit Gott zu sein? Ist der Opfertod die einzige Möglichkeit, in brutalen Zeiten den Glauben zu verteidigen? Und wie ist das Sterben? Ist es fröhlich oder durchsetzt mit Angst?

Sr. Elisabeth, Sr. Walburga und Sr. Therese-Maria gehören zum Karmel St. Josef in Hannover. Sie haben sich die moderne, vom Bühnenbild her reduzierte Aufführung angesehen und sich nach drei Stunden bewegt. Eine beeindruckende Inszenierung, sagt Sr. Elisabeth. Zwar tragen die Schwestern keine Ordenstracht, sondern Kleidung der 1950er-Jahre: Das hat die in der Oper angesprochenen Fragen in das Hier und Jetzt geholt und um so deutlicher gemacht, meint Sr. Elisabeth.

Das werde zudem der Entwicklung des Karmels gerecht, ergänzt Sr. Walburga, die Älteste in der Runde. Auch der Karmel habe sich nach der dem II. Vatikanischen Konzil verändert: Vorher waren die Vorschriften, das Einhalten der Regeln wichtig, jetzt ist es die bewusste Ausrichtung auf das Gebet. Gerade diese Spannung klösterliche Rituale und die Begründung eines Karmels, das Beten ohne Unterlass in Wort, Gesang und Stille werde durch die Oper wirklich mit Tiefgang aufgegriffen: Es hat mir noch einmal die Verantwortung aufgezeigt, die wir im Karmel haben, wenn wir die Nähe zu Gott suchen.

Zwischen Todesangst, Gelübde und Berufung


Todesangst und Berufung, Gelübde und innere Freiheit für Sr. Therese-Maria rückt dieses Verhältnis in den Mittelpunkt der Oper. Die Aufführung verdichtet das in durchaus provozierenden Bildern, sagt sie. Die Protagonistin
Blanche flieht vor dem strengen, sie verschreckenden Regiment des Elternhauses in den Karmel und findet dort ebenfalls ein strenges Regiment vor, das ihr aber nicht alle Sorgen nimmt: Sie bleibt in ihrer Angst gefangen, beschreibt es Sr. Therese-Maria: Für mich ist das eine Anfrage, wie ich von der Angst zur  inneren Freiheit im Karmel komme, eins mit Gott zu sein.

Die Verehrung der 16 Märtyrerinnen ist groß im Karmelitinnenorden. 1906 wurden sie von Papst Pius X. seliggesprochen. In unserem ehemaligen Kloster vor dem Umzug nach Hannover hatten wir ein großes Gemälde der Karmelitinnen von Compiègne, erinnert sich Sr. Elisabeth. Am 17. Juli, dem Tag ihrer Hinrichtung, gedenken die Karmelitinnen weltweit ihrer Märtyrerinnen. Sr. Elisabeth, Sr. Walburga und Sr. Therese-Maria sind sich sicher, dass sie diesen Tag anders als in den vergangenen Jahren wahrnehmen werden.  Glaube und Verzweiflung, Gebet und Opfertod manche Fragen bekommen doch eine neue Intensität.

Hinweise und Kontakt:

"Dialoge der Karmelitinnen"

Francis Poulenc hat diese Oper 1956 geschrieben nach dem gleichnamigen Drama von Georges Bernanos (1947/52) und nach der Novelle Die Letzte am Schafott von Gertrud von le Fort (1931). Die Staatsoper Hannover zeigt sie noch einmal am Samstag, 23., und Donnerstag, 28. Juni, jeweils um 19.30 Uhr. Um 19 Uhr erfolgt eine Einführung in das Werk. Gesungen wird in Französich, der deutsche Text wird oberhalb der Bühne eingeblendet.

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Rüdiger Wala