Herausforderungen gemeinsam meistern

Erkrankt ein Mensch an Demenz, stehen er und seine Angehörigen vor großen Herausforderungen. Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen müssen viele Personen und soziale Institutionen gut zusammenwirken. Die berMorgen- Redaktion sprach mit Johanna Radenbach von der Beratungs- und Begegnungsstelle Lindenbaum.

Im vergangenen Dezember hat sich zum einhundertsten Mal der Todestag von Alois Alzheimer gejährt. Der Psychiater und Neuropathologe beschrieb erstmals eine Hirnkrankheit, die nach ihm als Alzheimersche- Krankheit benannt ist. Alzheimer ist eine von mehr als 50 Demenzerkrankungen, die der heutigen Medizin bekannt sind. Alzheimer entsteht, wenn es zu Ablagerungen von Eiweißbestandteilen in und zwischen den Nervenzellen kommt, die das Gehirn schädigen. Nehmen die Ablagerungen zu, sterben die Nervenzellen in Teilen des Gehirns ab. Folgen sind der wachsende Verlust von Fähigkeiten wie Denk- und Merkfähigkeit, Selbstständigkeit, Verknüpfung von Denkinhalten und der Alltagsbewältigung.

In Deutschland gibt es rund 1,5 Millionen demenzkranke Menschen. Etwa 60 bis 70 Prozent sind vom Alzheimer-Typ betroffen. Alzheimer- Demenz ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, die aber kein Bestandteil des natürlichen Alterungsprozesses ist. Die Erkrankung ist nach aktuellem Wissensstand nicht heilbar. Medikamente können bestenfalls Symptome kontrollieren und den Krankheitsverlauf verlangsamen. Infolge der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung kommt es zum stetigen Anstieg der Alzheimer- Demenz. Bis zum Jahre 2030 rechnet man mit etwa 2,5 Millionen demenzkranken Menschen. Diese Prognose stellt eine große Herausforderung für Pflegeeinrichtungen, Kranken- und Pflegekassen dar.

Liebe Frau Radenbach, unsere Leser möchten Sie gerne näher kennenlernen. Was sollten die Leser über Sie wissen?

Ich habe eine Berufsausbildung zur Ergotherapeutin absolviert, anschließend Ergotherapie studiert und einen Bachelorabschluss erzielt. Danach arbeitete ich als Ergotherapeutin in verschiedenen sozialen Einrichtungen vornehmlich mit Demenzpatienten. Ich merkte schnell, dass mir die Arbeit mit demenzkranken Menschen sehr liegt. Deshalb habe ich mich auf dem Fachgebiet weiter qualifiziert und entsprechende Fort- und Weiterbildungen wahrgenommen. Aktuell befinde ich mich in einer Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

Seit Juni 2014 arbeite ich in der Beratungs- und Begegnungsstätte Lindenbaum des Caritasverbandes Hannover. Hier leite ich Gruppenstunden für ältere gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen sowie Gesprächskreise für Angehörige. Außerdem arbeite ich mit Ehrenamtlichen zusammen, die ich bei ihrer Arbeit anleite.

Nach welchen Grundregeln arbeiten Sie mit demenzkranken Menschen?

Ich akzeptiere die demenzkranken Menschen so, wie sie sind. Außerdem arbeite ich sehr ressourcenorientiert. Die Dinge, die sie noch gut können, hebe ich besonders hervor und lobe sie dafür. In meinen Gruppenstunden wirke ich auf ein Gemeinschaftsgefühl der Teilnehmer untereinander hin. Die demenzkranken Menschen brauchen die Erfahrung, dass sie mit ihrer Erkrankung nicht alleine sind und die anderen Gruppenteilnehmer sie mögen.

Wie erleben demenzkranke Menschen die Welt?

Da wirken viele Faktoren zusammen, deshalb kann ich keine pauschale Aussage treffen. Zunächst hängt es davon ab, wie weit die Demenz fortgeschritten ist. Demenzkranke Menschen haben häufig Wahrnehmungsstörungen und nehmen die Dinge nicht mehr so wahr, wie sie in der Realität sind. Die Welt wirkt auf sie oft sehr chaotisch, weil sie für die Verarbeitung der Geschehnisse länger brauchen.

Der individuelle Charakter spielt ebenfalls eine große Rolle. Der eine demenzkranke Mensch ist sehr ruhig, der andere erzählt sehr viel. Meine Erfahrung ist, dass sich die ursprünglichen Charaktereigenschaften in der Demenz noch verstärken können. Beispielsweise kann sich ein autoritärer Charakterzug bei einer autoritären Persönlichkeit noch mehr ausprägen.

Von Bedeutung ist außerdem, wie Familie und Umwelt der Krankheit begegnen. Akzeptieren sie den Menschen mit seiner Krankheit, erlebt er die Welt durchaus positiv. Behandeln sie die Krankheit jedoch als ein Tabuthema oder verpönen sie, erlebt er die Welt eher sehr negativ. Ebenso negativ erleben es demenzkranke Menschen, wenn man sie für ihr Verhalten stark kritisiert.

Wie können Angehörige mit den Wesensveränderungen des demenzkranken Familienmitgliedes umgehen?

Das veränderte Verhalten ist für Angehörige sehr schwierig und eines der Hauptthemen in meinen Beratungen. Sie fühlen sich häufig überfordert, weil sie damit nicht klarkommen. Vor allem rate ich zu Geduld. Ruhe auch dann zu bewahren, wenn etwas mal nicht so gut klappt.

Gefühlsausbrüche des demenzkranken Familienmitgliedes sollten Angehörige nicht auf sich selbst beziehen, z.B. wenn er laut schreit oder wütend auf den Boden stampft. Trotzdem ist eine gewisse Abgrenzung wichtig. In solchen Situationen dürfen sie durchaus ihre Grenzen aufzeigen und sagen: So geht das hier nicht.

Wo können Angehörige sich Rat und Unterstützung holen?

Eine umfassende Information über die Krankheit ist sehr wichtig. Angehörige sollten entsprechende Literatur zu dem Thema lesen und zu einer Beratungsstelle gehen. In meinen Beratungen empfehle ich stets den Besuch einer Selbsthilfegruppe. Dort können sich die Angehörigen untereinander austauschen. Es gibt spezielle Gruppen für pflegende Ehepartner sowie für pflegende Kinder.

Zudem rate ich Angehörigen, einen guten Neurologen aufzusuchen. Zum einen für die richtige medikamentöse Einstellung des demenzkranken Familienmitgliedes, zum anderen damit er ihnen für vertrauensvolle Gespräche zur Seite steht.

Zudem können Angehörige bei ihrer Krankenkasse eine Pflegestufe für das erkrankte Familienmitglied beantragen. Je nach Einstufung in eine Pflegestufe erhalten sie Pflegegeld in unterschiedlicher Höhe. Mit diesen Leistungen können sie beispielsweise eine Tagesbetreuung, einen Pflegedienst oder erforderliche Hilfsmittel finanzieren.

Die Pflege eines demenzkranken Familienmitgliedes kostet sehr viel Kraft. Welche Tipps geben Sie Angehörigen für sich selbst mit auf den Weg?

Dass sie auf sich selbst Acht geben und berforderung vermeiden. Wer sich überfordert, schadet nicht nur sich selbst, auch die Qualität seiner Pflegearbeit leidet darunter. Es ist gut, wenn Angehörige weiter ihren Hobbys nachgehen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Um sich den entsprechenden Freiraum zu verschaffen, können sie das demenzkrankte Familienmitglied ein oder zwei Tage in der Woche in eine Tagesklinik bringen und abends wieder nach Hause holen. Zudem können sie niedrigschwellige Betreuungsangebote von ehrenamtlich geschulten Personen in Anspruch nehmen. Auf Urlaub und Erholung sollten sie ebenfalls nicht verzichten. Für diese Auszeit kann eine Verhinderungspflege einspringen.

Für viele Menschen ist die Vorstellung dement zu sein, sehr beängstigend. Sehen Sie in unserer Gesellschaft die Tendenz zur Tabuisierung der Demenzerkrankung?

Ich meine, die Gesellschaft geht mit dieser Erkrankung immer selbstverständlicher und offener um. Eine generelle Tabuisierung sehe ich nicht. Die Demenzerkrankung ist mittlerweile in den Medien sehr präsent. Der offene Umgang von demenzbetroffenen prominenten Menschen und deren Angehörigen hat gewiss auch etwas dazu beigetragen.
Es gibt aber eine große Angst, selbst an Demenz zu erkranken. Für viele Menschen ist Demenz eine Schreckenskrankheit.

Haben Politik und Gesellschaft zum Thema Demenz den richtigen Weg eingeschlagen?

Mittlerweile gibt es sehr viele Hilfsangebote für demenzkranke Menschen und pflegende Angehörige. Das ab 2015 in Kraft getretene neue Pflegegesetz hat die Hilfsangebote erweitert. Ab 2017 soll das Zweite Pflegestärkungsgesetz die Unterstützungsmöglichkeiten noch weiter ausbauen. Das halte ich für einen guten Weg. Den Betroffenen kann ich nur raten, die Hilfsangebote auch in Anspruch zu nehmen.

Seitens der Gesellschaft wünsche ich mir einen offenen Umgang mit der Demenzerkrankung und den Betroffenen. Auch demenzkranke Menschen können fröhlich sein, ein sehr schönes Leben haben und sich in die Gesellschaft integrieren.

Eine Reportage über die Einrichtung Lindenbaum, in der Johanna Radenbach arbeitet, finden Sie unter der Rubrik Ein Arbeitsfeld stellt sich vor.

Marie Kleine