Hilfe gegen die Spätfolgen einer Katastrophe

Maria Hasler in das Kuratorium der Niedersächsischen Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“ berufen

26. April 1986: In Atomkraftwerk von Tschernobyl, in der damals noch zur Sowjetunion gehörenden Ukraine, kommt es zur Kernschmelze. Der Reaktor Block 4 explodiert und radioaktiver Staub verbreitet sich in ganz Europa. Die Region ist bis heute unbewohnbar, Mensch und Natur kämpfen mit den Spätfolgen. Um diese Spätfolgen kümmert sich die Niedersächsischen Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“. Die Leiterin der Katholischen Familienbildungsstätte Hannover, Maria Hasler, ist nun in das neunköpfige Kuratorium gewählt worden.

Herzlichen Glückwunsch zur Wahl in das Kuratorium der Stiftung „Kinder von Tschernobyl“. Was ist die Aufgabe der Stiftung?

Auch über 30 Jahre später benötigen strahlengeschädigte Kinder und Jugendliche in den betroffenen Gebieten Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der Reaktorkatastrophe. Zweck der Stiftung ist insbesondere medizinische Hilfe. Die Stiftung versorgt Kliniken konkret in ihren individuellen Bedarfen, welche zuvor an die Stiftung weitergeleitet werden, durch Lieferung medizinischer Geräte, wie Ultraschallgeräte und Beatmungsgeräte und vieles andere mehr. Darüber hinaus schult die Stiftung medizinisches Personal vor Ort – derzeit überwiegend online – in Früherkennung durch Sonografie.

Sie haben es gesagt, die Reaktorkatastrophe ereignete sich vor über drei Jahrzehnten. Was verbinden Sie persönlich damit?

Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete sich wenige Tage vor meinem zweiten Geburtstag. Betroffene Kinder von damals, das ist meine Generation. Hierin sehe ich eine, nein, meine Verantwortung zur Mitwirkung, Unterstützung, Aufklärung.

Was meinen Sie mit „meiner Verantwortung“?

Wir Menschen neigen zum Vergessen, das lässt uns überleben. Aber, so sagte es meine Oma immer, Geschichte wiederholt sich. Wenn wir also vergessen, wie können wir dann lernen? Die Menschen der betroffenen Regionen kämpfen bis heute mit psychischen und physischen Folgen.  Weiterhin werden hohe Anstiege von Schilddrüsen- und Schilddrüsenkrebserkrankungen oder angeborene Missbildungen bei Kindern verzeichnet. Viele Menschen meiner Generation dort leiden an einer Schwächung des Immunsystems und anderen Erkrankungen, auch Depressionen und Angstzustände gehören dazu. Selbst wenn sie es wollten, könnten sie nicht vergessen.

Und diese Verantwortung können Sie durch das Mitwirken in der Stiftung umsetzen?

Die Arbeit der Stiftung wirkt hier ganz praktisch und erreicht die Betroffenen direkt. Das gefällt mir.

Wie wirkt sich der russische Angriffskrieg auf die Arbeit der Stiftung in der Ukraine aus? 

Trotz des andauernden Kriegsgeschehens werden weiterhin Transporte durchgeführt, welche Gott sei Dank weiterhin ohne Verluste und sonstige Komplikationen erfolgreich waren. Angesichts des russischen Angriffskriegs hat die Stiftung ihren Aufgabenbereich auf die Ukraine erweitert, um auch dort Kinder in Not zu unterstützen. Gerade die Versorgung der aus der Nord- und Ostukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen ist eine besondere Herausforderung für die westukrainischen Kinderkliniken. Hier setzt die Stiftung mit Hilfeangeboten an: Es gibt regelmäßigen Kontakt zu den großen Kinderkliniken in der Westukraine, zum Beispiel in Lviv und Ternopil, um mit den Partnern vor Ort deren dringenden Bedarf abzuklären.

Wo würden Sie gerne einen Akzent setzen?

Sowohl die Reaktorkatastrophe als auch die jetzige Kriegssituation ruft nicht nur physische, sondern auch psychische Traumata hervor, welche, wie wir wissen, über Generationen weitergetragen werden können. Es ist mir ein großes Anliegen, gemeinsam mit den Kuratoriumsmitgliedern auch die psychische Gesundheit der Bevölkerung in den Blick zu nehmen. Gemäß meiner Leidenschaft als Theater- und Kulturpädagogin schweben mir hier zum einen Kreativcamps mit Workshop jenseits von Sprache zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und Resilienz für Kinder und Jugendliche vor. Zum anderen halte ich auch die Entwicklung digitaler Angebote, welche für alle frei fürs eigene Smartphone verfügbar wären, für umsetzbar und zukunftsfähig. Hierfür benötigt die Stiftung derzeit vor allem mehr Kapital, um neben der medizinischen Versorgung auch Ideen wie diese umsetzen zu können.

  • Hinweis: Die Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“ wurde 1992 auf Initiative Niedersächsischer Landtagsabgeordneter gegründet und ist in Ihrer Art bundesweit einmalig. Förderschwerpunkt ist vor allem die medizinische Hilfe für strahlengeschädigte Kinder in der Ukraine, insbesondere die Früherkennung und Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen.
  • Unterstützung: Spendenkonto bei der Norddeutschen Landesbank Hannover IBAN: DE23 2505 0000 0101 4739 99 BIC: NOLADE2HXXX. Weitere Infos: www.ms.niedersachsen

Interview: Rüdiger Wala