Lebensweg - bis zum Schluss

Das Gesetzgebungsprojekt zur Sterbehilfe hat im vergangenen Jahr auf politischer, gesellschaftlicher und fachwissenschaftlicher Ebene eine emotional geführte Debatte in Gang gebracht. Die berMorgen-Redaktion sprach mit Schwester Hildegard Faupel, die sich von Berufs wegen intensiv mit den Themen Sterben, Tod und Trauer befasst.

Im vergangenen November hat der Bundestag das Verbot der organisierten Sterbehilfe beschlossen. Es richtet sich vor allem gegen die umstrittenen Sterbehilfe-Vereine. Nach wie vor bleibt die aktive Sterbehilfe als Töten auf Verlangen verboten. Nicht unter Strafe steht weiterhin die passive Sterbehilfe. Sie gewährt Therapiebegrenzung entsprechend des Willens des Patienten oder die Verabreichend schmerzlindernder Mittel, die eine lebensverkürzende Wirkung haben können. Die Beihilfe zum Suizid bleibt ebenfalls straffrei, sofern es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Damit werden Angehörige und nahestehende Personen vor einer Bestrafung geschützt. Auch Einzelfallentscheidungen von Ärzten sollen nicht bestraft werden.

Liebe Schwester Faupel, wir möchten Sie gerne unseren Lesern vorstellen. Was sollte jeder über Sie wissen?

Ich lebe gemeinsam mit meiner Mitschwester in der Gemeinschaft Jesu in Springe. Dort habe ich eine eigene Praxis, in der ich als gerontologische Beraterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig bin.

Von Haus aus bin ich Lehrerin. Doch heute gilt mein Augenmerk vornehmlich den älteren Menschen. Durch die Arbeit in meiner Praxis bin ich mit den Themen Sterben, Tod und Trauerarbeit sehr vertraut.

Außerdem arbeite ich als Bildungsreferentin in einem Kloster in der Nähe von Hamburg. Ich leite Ethikseminare für Kranken- und Altenpflegeschüler. Die Schüler setzen sich in den Kursen intensiv mit der eigenen Haltung gegenüber Sterben und Tod auseinander. Zudem thematisieren wir den Umgang mit kranken und sterbenden Menschen und üben Gesprächsbegleitung.

Inwieweit sprechen Ratsuchende in Ihrer Praxis das Thema Sterbehilfe an oder bitten Sie gar um entsprechende Unterstützung?

Einmal äußerte ein Mensch diesen Wunsch sehr direkt. Das geschah allerdings unmittelbar, nachdem er seine negative Diagnose und die bevorstehenden Begleitumstände im Endstadium seiner Krankheit erfahren hatte. Darüber war er
sehr erschrocken. Nie zuvor hatte er daran gedacht, er könne jemals in so eine Situation kommen. 

Es erleichterte ihn sehr, dass er seinen Suizidwunsch frei äußern durfte. Durch unsere gemeinsamen Gespräche erkannte er, welche Möglichkeiten die Hospizbegleitung und Palliativversorgung bieten. Damit wurde ihm die Lebensstrecke bewusst, die noch vor ihm lag. Er fokussierte sich nicht mehr nur auf den Sterbeweg. Am Ende löste sich sein ursprünglich befürchtetes Schreckensszenario sogar auf.

Die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe hat zu einer breit angelegten gesellschaftlichen und politischen Debatte geführt. Auf welchen Standpunkt stellen Sie sich?

Die aktive Sterbehilfe und eine geschäftsmäßig betriebene Beihilfe zum Suizid lehne ich absolut ab. Nach unserem christlichen Verständnis von Hospizarbeit müssen wir einen sterbenden Menschen in der Weise unterstützen, dass sein Leben lebenswert endet.

Obwohl die Medizin heute viele Möglichkeiten eröffnet, sollte sie das Leiden todkranker Menschen nicht unendlich verlängern. Für die Betroffenen und die Angehörigen kann eine derartige Situation unerträglich sein. Entscheidet sich ein Sterbender bewusst gegen weitere Therapiemaßnahmen, muss seine Entscheidung ernst genommen werden.

Wie stehen Sie aus der Perspektive der Moral und der Ethik des Helfens zum assistierten Suizid?

Es besteht natürlich der Grundsatz: Ich darf nicht töten. Somit darf ich auch keine Beihilfe zum Töten leisten. Dennoch mag es einzelne Fälle geben, in denen ich über eine derartige Entscheidung nicht urteilen möchte. Ich würde das in die Barmherzigkeit Gottes legen wollen.

Äußern Menschen einen Suizidwunsch, müssen die Gründe dafür ganz genau hinterfragt werden. Gerade bei depressiv veranlagten Menschen können Gedanken eine Rolle spielen, wie: Ich bin der Gesellschaft zu teuer, oder ich falle meinen Angehörigen zur Last.

Sofern Angehörige sich mit der Frage einer möglichen Beihilfe zum Suizid auseinandersetzen müssen, kommen sie in eine ziemliche Bedrängnis.
Aus Gesprächen weiß ich, dass bereits die Entscheidung über das Abschalten von lebenserhaltenden Geräten zu einem riesigen Problem werden kann. Viele Menschen kommen damit an ihre Grenzen, weil sie mit der Last dieser Verantwortung überfordert sind.

Umfragen zeigen, dass Menschen sich in erster Linie deshalb für eine Option der Sterbehilfe aussprechen, weil sie einen langen Sterbeprozess fürchten. Mit welchen Möglichkeiten kann man diesen Ängsten entgegenwirken?

Durch den Ausbau der Hospizbegleitung und der palliativen Versorgung ist in den letzten 20 Jahren schon viel auf den Weg gebracht worden. Ich wünsche mir, dass diese Form der Unterstützung zu einer gängigen Praxis wird. Besonders Mitarbeiter in Altenhilfeeinrichtungen, im kirchlichen Bereich und Hausärzte sollten sich auf dem Gebiet noch mehr fortbilden.

Betroffene und Angehörige müssen von der Hospizarbeit und der palliativen Versorgung mehr erfahren. Viele Menschen nehmen die Hilfen nicht in Anspruch, weil sie davon nichts wissen. Die Gesellschaft darf Todkranke und deren Angehörige nicht allein lassen. Auch sollte die Gesellschaft mehr Raum schaffen, der das freie Sprechen über Leben und Sterben leichter macht.

Marie Kleine