Neubeginn nach der Reformation

Zukunft würdigt Geschichte: Das ist der Leitgedanke des 300-jährigen Jubiläums von St. Clemens. Aber welche Geschichte wird hier geschrieben? Unsere Autorin Martina Stabenow setzt in vier Folgen Akzente dieser Vergangenheit, Teil 3: Neubeginn nach der Reformation

Der Wandel vom einstigen Gegeneinander zum heutigen Miteinander war ein langer Prozess. Bis zur Rechtsgleichheit mit den Lutheranern und dem Wiedererlangen des Wohn- und Bürgerrechtes in der Stadt im Jahre 1806 gab es jede Menge Herausforderungen. Doch ein Neubeginn war möglich. Dafür setzten die Katholiken bereits vor 300 Jahren mit dem Bau von St. Clemens ein klares und unübersehbares Zeichen.

 

Erste katholische Gemeinde ist international

 

1665 kehrte katholisches Leben nach Hannover zurück. In diesem Jahr übernahm der zum Katholizismus konvertierte Herzog Johann Friedrich die Regentschaft. berwiegend hielt er sich in Italien auf, aber er machte Herrenhausen zu seiner Sommerresidenz.

Obgleich Hannover lutherisch war, verwehrte man ihm nicht die katholische Religionsausübung. Er musste jedoch versprechen, keine Missionsversuche zu unternehmen. Johann Friedrich, der als Landesherr zugleich das Kirchenoberhaupt der Lutheraner war, achtete sehr genau auf die Einhaltung dieser Auflage. Darum konzentrierte er die katholische Religionsausübung ausschließlich auf seinen Hof in Herrenhausen. In der Schlosskapelle ließ er Weihnachten 1665 die erste katholische Messe nach der Reformation zelebrieren.

Die junge katholische Gemeinde hatte etwa 150 Mitglieder, bei denen es sich vor allem um Bedienstete des Herrenhäuser Hofstaates handelte. Sie stammten vorwiegend aus Italien und Frankreich, aber auch einige deutsche Künstler waren dabei.

Kapuzinermönche übernahmen die Seelsorge dieser katholischen Gemeinde.  Johann Friedrich selbst hatte sie dazu berufen. Zudem setzte er sich dafür ein, dass die Katholiken mit Valerio Maccioni einen Apostolischen Vikar erhielten. Als dieser 1676 verstarb, übernahm Niels Stensen die Aufgabe.

 

 

Zugeständnisse als Mittel zum Zweck

 

Ein schwerer Einschnitt für die katholische Gemeinde in Hannover war der Tod von Johann Friedrich im Jahre 1679. Die Nachfolge übernahm sein lutherischer Bruder Ernst August. Doch mit seinem Amtsantritt verlor das Vikariat an Rückhalt. Ernst August ließ die Schlosskirche für den katholischen Gottesdienst schließen und eine gründliche Umgestaltung vornehmen. Ab 1680 stellte er sie dann den Lutheranern zur Verfügung. Im gleichen Jahr verließen sowohl die Kapuziner als auch Stensen die Stadt. Die Seelsorge der Katholiken übernahmen für die nächsten 30 Jahre Jesuiten aus Hildesheim.

Dennoch wuchs die katholische Gemeinde an. Die Erweiterung des Hofes und der Ausbau des Theaters machten Hannover zu einem Anziehungspunkt für immer mehr Katholiken, die vor allem aus Frankreich und Italien kamen. Ernst August zeigte ihnen gegenüber eine wohlwollende Haltung. Das erfolgte aber weniger aus religiöser Motivation heraus, denn er war ein politisch denkender und handelnder Mensch. Sein Ziel war vielmehr die Erlangung der Kurwürde, die ihm nur der Kaiser verleihen konnte. Da sich der Kaiser auch als Beschützer der Katholiken im Reich verstand, versuchte Ernst August, ihn mit dieser Haltung günstig zu stimmen.

1692 verlieh ihm der Kaiser schließlich die begehrte Kurwürde. Im Gegenzug musste Ernst August den Katholiken in Hannover und Celle einen Bauplatz für eine Kirche einräumen und ihnen freie Religionsübung gewähren. 

   

Freie Religionsübung mit Hindernissen

 

Trotz dieser Zugeständnisse konnte die Katholiken in der Altstadt Hannovers nach wie vor keine Bürgerrechte erwerben. berhaupt unterlag die freie Religionsausübung diversen Einschränkungen. So war den Katholiken die Ausübung ihrer Religion nur in der Calenberger Neustadt möglich, weil in diesem Gebiet der Kurfürst das Sagen hatte und damit ein anderer Rechtsstatus gegeben war. Bereits 1690 gelang es den Jesuiten, dort einige Räume anzumieten und eine provisorische Kapelle einzurichten. Ihre religiösen Aktivitäten durften die Katholiken nach außen hin jedoch nicht zeigen: Zwar konnten sie Priester haben und die heilige Messe feiern, doch die Prozession und das Läuten waren untersagt.

Den Bau der zugesagten katholischen Kirche zögerten sowohl Ernst August als auch später sein Nachfolger, sein lutherischer Sohn Georg Ludwig, immer wieder hinaus. Insbesondere Georg Ludwig wollte sich als künftiger König von England kein katholisches Image zulegen und wahrte den Katholiken gegenüber Distanz.

 

Ein Italiener treibt den Kirchenbau an

 

Widerstände gegen den Bau einer katholischen Kirche gab es auch seitens des hannoverschen Magistrats sowie aus Teilen der lutherischen Bevölkerung. Sie lehnten dafür vorgeschlagene Grundstücke immer wieder als unzumutbar ab. Erst als der in der Region Venetien geborene Agostino Steffani 1709 nach Hannover zog und sich der Sache annahm, kam das Bauvorhaben in Gang.

Steffani war in Hannover kein Fremder. Bereits 1688 folgte er einer Einladung von Ernst August und trat damals das Amt als Hofkapellmeister an. Steffani war ein vielseitiges Talent: Komponist, Priester, Diplomat und ab 1707 sogar Bischof. Er übernahm 1709 die Seelsorge der hannoverschen Katholiken. Mit Druck und Ausdauer setzte sich Steffani für den Bau der katholischen Kirche ein. Unter Einsatz eines Strohmannes konnte er schließlich ein Grundstück in der Calenberger Neustadt erwerben: den Windheimischen Hof auf einer Bastion des westlichen Befestigungsgürtels.

 

Ein Hauch von Venedig

 

Die Finanzierung des Kirchenbaus war ebenfalls eine von Steffanis Leistungen. Dafür schrieb er diverse Bettelbriefe, u.a. an den Kaiser und Papst. Der Papst forderte wiederum die deutschen katholischen Fürsten auf, für den Kirchenbau zu spenden. Auf diese Weise konnten in einem Baufonds finanzielle Mittel angesammelt werden.   

1711 beauftragte Steffani den Architekten Tommaso Giusti mit der Planung und Bauleitung des Kirchenbaus. Der Grundstein für die neue Kirche wurde am 06. Juli 1712 gelegt.

Giusti gehörte zu den Katholiken, die am hannoverschen Hof tätig waren. Wie Steffani war auch er ein Venezianer. Von daher mag es nicht überraschen, dass Giusti eine Kirche im venezianischen Barockstil entwarf. 1713 legte Guisti ein Baumodell vor, das eine Kirche mit einer Kuppel und zwei flankierenden Türmen zeigt. Dieses Modell existiert noch heute und hat inzwischen seinen Platz im Museum Schloss Herrenhausen gefunden. Zwei venezianische Kirchen sollen Gusti als Vorbild gedient haben: Die Kirche "Santa Maria della Salute" für die Kuppelgestaltung und die Kirche "Il Redentore" für die Fassadengestaltung.

Letztendlich reichte der Baufonds aber nicht aus, das Bauvorhaben komplett umzusetzen. Aus Geldmangel konnten die ursprünglich geplante Kuppel und die barocke Bekrönung der Türme nicht gebaut werden.

Vermutlich hingen die finanziellen Schwierigkeiten damit zusammen, dass Georg Ludwig zu diesem Zeitpunkt bereits in England weilte. Er siedelte 1714 mit dem gesamten hannoverschen Hof nach London über, um dort als König Georg I. den Thron zu besteigen. Das Hofleben in Hannover spielte daraufhin nur noch eine untergeordnete Rolle. Auch der Charakter der katholischen Gemeinde in Hannover veränderte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts: Es zogen vermehrt Handwerker und Menschen aus einfachen Bevölkerungsschichten zu. Die Dominanz des Adels nahm dagegen ab, womit auch deren finanzielle Unterstützung schrumpfte.

 

 

Endlich ist es soweit

 

Die 1718 fertiggestellte Kirche war entgegen der Norm nicht nach Osten, sondern nach Westen ausgerichtet. Damit wandte sich die imposante Fassade des Gebäudes der Stadt zu.

Bevor die Weihe der Kirche vollzogen werden konnte, gab es eine längere schriftliche Auseinandersetzung zwischen Steffani und der hannoverschen Regierung. Am Ende dieses Disputes musste Steffani eine wesentliche Bedingung erfüllen: Die Feierlichkeiten sollten in der Weise stattfinden, dass die evangelische Bevölkerung daran keinen Anstoß nehmen würde. Deshalb hielt Steffani am

14. November 1718 die Weihe ausschließlich im Innenraum der Kirche ab.

Gewidmet wurde die Kirche dem heiligen Clemens, dem Namenspatron des damals amtierenden Papstes Clemens XI. Der berlieferung zufolge war der heilige Clemens Bischof von Rom und zweiter oder dritter Nachfolger von Petrus. Er soll den Tod als Märtyrer erlitten haben. Mit dieser Namensgebung würdigte man auch das Engagement von Papst Clemens XI, der für den Bau der Kirche im ganzen katholischen Deutschland und darüber hinaus warb.

 

 

 

 

Einschneidende Veränderungen bis zum zweiten Weltkrieg

 

 

Rechtsgleichheit

 

Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte das Königreich Hannover zu Westfalen, das von Jérôme Bonaparte, dem Bruder Napoleons, regiert wurde. Eines der positiven Ereignisse dieser Epoche war die Aufhebung religiöser Diskriminierungen: Die Katholiken erhielten von nun die volle Rechtsgleichheit. Bis dahin war es den Geistlichen von St. Clemens zwar gestattet, Trauungen, Taufen und Beerdigungen vorzunehmen. Doch nur die evangelischen Pfarreien hatten das Recht, diese Ereignisse ins Kirchenbuch einzutragen. Die dafür zu leistenden Gebühren - die so genannten Stolgebühren - mussten an die evangelischen Geistlichen gezahlt werden. Diese Vorgehensweise wurde durch die Rechtsgleichheit abgeschafft.

 

St. Clemens verändert seinen Status

 

Außerdem änderte sich im 19. Jahrhundert die Zugehörigkeit zur Diözese. Hannover gehörte im Mittelalter zunächst zum Bistum Minden, das 1648 aufgelöst wurde. Daraufhin war Hannover dem apostolischen Vikariat der nordischen Mission zugehörig.

St. Clemens war also anfangs eine Missionskirche gewesen und direkt dem Papst unterstellt. Das änderte sich 1824, als die Kirchengemeinde dem Bistum Hildesheim zugewiesen und ein Jahr später zur Pfarrei erhoben wurde.

Eine weitere wesentliche Veränderung stand 1894 an: Papst Leo XIII ernannte St. Clemens per Dekret zur Probsteikirche. Im darauffolgenden Jahr wurde das Dekanat Hannover gegründet und der Probst zum Dechanten bestellt.

 

 

Zugewanderte Menschen prägen die Kirchengemeinde

 

Infolge der Industrialisierung wuchs die Kirchengemeinde von St. Clemens weiter an. Immer mehr Katholiken kamen in die Stadt, die hier Arbeit suchten und fanden. Vor allem die Eichsfelder machten Hannover zu ihrer neuen Heimat. Aufgrund der stark angestiegenen Zahl der Katholiken wurden weitere Kirchengemeinden gegründet. Die ersten Kirchen nach St. Clemens waren 1874 St. Godehard in Linden und 1890 St. Marien in der Nordstadt.

Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert formten auch zugewanderte Italiener das Gesicht der Kirchengemeinde. Im Kaiserreich gab es viele Italiener in Hannover, die am Bau des Mittellandkanals mitarbeiteten. Was die seelsorgerischen Betreuung der Italiener angeht, ist besonders der damalige Pfarrer Maxen zu erwähnen. Er sprach italienisch und fuhr regelmäßig in die Barackenlager, wo die Italiener untergebracht waren. Dort hielt er dann die heilige Messe ab und predigte in deren Muttersprache.

Martina Stabenow