Neuer Direktor des FIPH

Interview mit Prof. Dr. Jürgen Manemann

Jürgen Manemann (46), bisher Professor für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Universität Erfurt, hat zum 1. Oktober das Amt des Direktors des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover (fiph) übernommen. Im Leibnizhaus in Hannover hat er jetzt seine Antrittsvorlesung gehalten. Edmund Deppe hat im Vorfeld der Veranstaltung mit Prof. Dr. Manemann gesprochen.

Was ist für Sie Philosophie?

Philosophinnen und Philosophen leiden immer wieder unter ihrem eigenen Fach. Der Grund liegt im Fach selbst. Philosophie ist ein paradoxes Gebilde. Zum einen ist sie ein wissenschaftliches Fach wie jedes andere, zum anderen aber kein Fach, ja sie ist geradezu ein Nichtfach. Philosophie schließt nicht aus dem Gespräch aus, sondern spricht jedem das Recht zu, mitzudenken und mitzusprechen. In gewisser Weise sind wir alle schon einmal Philosophen gewesen, und zwar in unserer Kindheit. In der Art des Fragens, ja des permanenten Bohrens gehen Kinder so weit, dass wir Erwachsenen irgendwann aufgeben und die Frage Warum? mit einem bestimmten Darum! ersticken. Dieses Darum! brechen Philosophen erneut auf. Dabei zeichnet es die Philosophie aus, ständig zu fragen: Was ist das eigentlich die Philosophie? und Wozu Philosophie?. Philosophietreiben bedeutet zunächst, Fragen zu stellen, die das uns Selbstverständliche be- und hinterfragen. Ein Philosoph ist ein Meister der Frage. In der Philosophie geht es darum, die Fragwürdigkeit einer Frage herauszuarbeiten. Philosophen kritisieren jegliche Vollmundigkeit des Immer-schon-Wissens.

Wo liegen Ihre philosophischen Schwerpunkte?

Ich versuche, die Fragen, die Kant als die eigentlichen bezeichnete - Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? -, in unserer Zeit neu zu formulieren. Bereits Kant machte darauf aufmerksam, dass diese Fragen in die Frage münden: Was ist der Mensch? Diese Frage ist zentral für meine eigene philosophische Arbeit und für die des Forschungsinstituts. Dabei wird diese Frage aber nicht monologisch gestellt: Was ist der Mensch?. Sie wird dialogisch formuliert: Wer ist der Mensch? Die Wer-Frage verlangt einen Eigennamen. Anthropologische Fragestellungen werden dadurch relational und dialogisch entwickelt.

Wo liegt für Sie der Reiz beim fiph?

Das Institut bietet die Möglichkeit, in einer offenen Gesprächsatmosphäre über Gegenwartsfragen zu forschen. Diese Möglichkeit wird an den Universitäten immer weniger geboten. Hier kommt dem fiph eine große Bedeutung zu. Dass die katholische Kirche die Notwendigkeit einer solchen Institution erkannt hat, ist geradezu ein Glücksfall für die Gesellschaft, aber auch für die Kirche. Wissen Sie, jeder Katholik/jede Katholikin ist dazu verpflichtet, mit vernünftigen Gründen den Glauben an Gott zu rechtfertigen. Dazu bedarf es des philosophischen Diskurses. Philosophie ist aus Sicht der katholischen Kirche keine Disziplin unter anderen. Denken Sie nur an die Schreiben des Papstes. Wer von der Welt nichts versteht, der versteht auch von Gott nichts. Wir alle sind auf das philosophische Gespräch angewiesen. Es gehört zu dem Weltprogramm des Christentums aus katholischer Sicht, durch die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft einen Beitrag für das Zusammenleben in der Welt zu leisten.

Wo werden Sie hier neue Akzente setzen?

Philosophie treiben heißt Nachdenken. Nachdenken ist immer auch Eingedenken im Sinne des  Andenkens. Die philosophischen Reflexionen dürfen sich nicht von den Menschen in ihren Erfahrungszusammenhängen entfernen. Aus diesem Grund werden wir in unseren philosophischen Reflexionen unter anderem auch bei den komplexen und gebrochenen Traditionen des Christentums ansetzen. Gerade ein Blick in die nordamerikanische Philosophie offenbart die Potentiale eines solchen philosophischen Arbeitens. Dort gibt es bspw. den Versuch,  Pragmatismus und Prophetismus miteinander in einen spannungsvollen Zusammenhang zu bringen. Die sich daraus entwickelnden Fragen, Probleme und die neuen Horizonte interessieren mich.

 Gibt es für Sie ein Leben neben der Philosophie und wie sieht es aus?

Ich sagte Ihnen ja bereits, dass Philosophen Fragen stellen und mit ihren Fragen das Selbstverständliche hinterfragen. Es ist ein sehr schwieriges Unterfangen, nicht nur die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch die Fragen richtig zu stellen. Davon hängt ab, ob wir richtige Antworten finden. Ihre Frage könnte von der Ansicht geleitet sein, in der Philosophie gehe es eigentlich nicht um das Leben. Philosophie sei etwas für Schöngeister. Das Gegenteil ist der Fall! Unser ganzes Leben ist von Philosophie durchdrungen. Jeder von uns besitzt so etwas wie eine Lebensphilosophie, die sich in unserem Alltag ausprägt und wiederum auch unseren Alltag prägt. Diese Lebensphilosophie zur Sprache zu bringen und sie auch befragen zu lassen, das ist ein Anliegen der Philosophie. Aus diesem Grund werden wir uns u.a. mit dem prophetischen Pragmatismus befassen.    

 Tipps vom Philosophen für die Advents- und Weihnachtszeit?

Nutzen Sie diese Zeit als Atempause zum Denken. Die Zeit zum Denken nicht zu nutzen, ist Frevel an der Praxis.

Kann man Advent und Weihnachten philosophisch erklären?

Ja, die jüdische Philosophin Hannah Arendt hat einen Vorschlag gemacht: Das ?Wunder? besteht für Arendt darin, dass überhaupt Menschen geboren werden und mit ihnen die Möglichkeit des Immer-wieder-neu-anfangen-könnens in die Welt gelangt. Dass wir in der Welt Vertrauen haben und für die Welt hoffen dürfen, ist für sie nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten des Evangeliums: ?Uns ist ein Kind geboren.?

Ihr Wunsch für die Zukunft des fiph unter ihrer Leitung?

Dass es uns gelingt, einen produktiven Beitrag für die Verständigungsprozesse in  Gesellschaft und Kirche zu leisten. Und dass wir die richtigen Fragen stellen. Dass wir aber nicht nur Fragen stellen, sondern es auch wagen, Antworten zu geben. Wer sich dieser Pflicht entzieht, der entzieht sich auch der Verantwortung. Denken Sie daran, im Wort Verantwortung steckt das Wort Antwort. Und so sehen Sie, auch das zu Beginn Gesagte über die Notwendigkeit des Fragens dürfen wir nicht als letzte Auskunft, als letzte Antwort gelten lassen.

(pkh)