Nicht mehr wegschauen ...

Missbrauch in der Kirche ? eine Tagung in Hannover geht am 19. Juni den Ursuchen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und gegen Ordenfrauen nach. Die schonungslose Aufklärung der Taten ist das eine ? der Blick auf diese Verbrechen begünstigende Strukturen innerhalb der Katholischen Kirche das andere. Das Dritte: Was können Gemeinden zum Schutz von Kindern und Jugendlichen tun? Ein Gespräch mit Michael Messner, Präventionsbeauftragter der Lehrter Pfarrei St. Bernward.

Vorbemerkung: Noch unter Bischof Norbert Trelle verabschiedete das Bistum Hildesheim im Januar 2018 ein für alle Gemeinden verpflichtendes Präventionskonzept gegen sexualisierte Gewalt. Das Ziel: Durch eine Kultur der Achtsamkeit und des Hinschauens in allen Gemeinden sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch zu verhindern.

Die Lehrter Pfarrei St. Bernward geht den nächsten Schritt. Michael Messner, Gymnasiallehrer in Großburgwedel für Sport, katholische Religion und Informatik hat die Ausgabe als Präventionsbeauftragter übernommen. In der Prävention gegen sexualisierte Gewalt ist der 50-Jährige als langjähriger Beratungslehrer beruflich sowie als Schulseelsorger über das Bistum für diese Aufgabe in qualifiziert. Außerdem arbeitet er in einem Netzwerk des Bistums für Sexualpädagogik mit. Michael Messner ist verheiratet und Vater zweiter Söhne.

Warum braucht eine Gemeinde einen eigenen Präventionsbeauftragten, auch wenn es bisher nicht zu einem Missbrauch gekommen ist?

Das Präventionskonzept des Bistums verpflichtet die Gemeinden, einen Ansprechpartner vor Ort zu benennen. Dazu muss es gar nicht zu einem Missbrauch gekommen sein. Für die Prävention ist es jedoch einfach wichtig, relativ zügig eine Sicherheit herzustellen, zumal das mediale Bild der katholischen Kirche bei diesem Thema allgemein doch ein deutlich anderes ist, als wir das vielleicht in Lehrte wahrnehmen.

Sind denn die Kinder in den Einrichtungen einer Gemeinde wie St. Bernward in Lehrte nicht sicher?

Doch, natürlich. Nach meiner Erfahrung, beispielsweise beim Kitaplatz unseres älteren Sohnes, gehe ich von einem großen Maß an Sicherheit aus. Die St.-Bernward-Gemeinde hat zum Beispiel schon 2014/15 alle Haupt- und Ehrenamtlichen geschult, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Kita und Grundschule haben eigene Konzepte erarbeitet und umgesetzt. Daher habe ich bislang äußerst selten Situationen in unserer Gemeinde erlebt, in der Kinder alleine mit Betreuern waren oder Betreuer allein mit Kindern eine fragwürdige Nähe gesucht haben. Wenn jetzt im Zuge der Lokalen Kirchenentwicklung Gemeinden wie unsere in Lehrte mit eigenen Präventionskonzepten in die Verantwortung gehen, mag das Sicherheitsgefühl noch steigen. Schließlich haben wir es jetzt selbst in der Hand, vor Ort für den bestmöglichen Schutz unserer Kinder zu sorgen.

Sie sprachen es gerade an: Eine Ihrer ersten Aufgaben wird es sein, ein Präventionskonzept zu erstellen.

Stimmt. Aktuell sitze ich gemeinsam mit dem Vorsitzenden und einem Mitglied des Pfarrgemeinderates, Dr. Schrüfer und Frau Fleige, an einem Präventionskonzept. Das Konzept wird darlegen, wie unsere Gemeinde generell sexualisierter Gewalt vorbeugen und mit ihr umgehen will. Mit dem Konzept soll jedem bekannt sein, warum wir Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene besonders schützen müssen und wie er oder sie als einzelner aktiv dazu beitragen kann.

Wird das Konzept auch Leitlinien für den Umgang der Haupt- wie Ehrenamtlichen in der Gemeinde mit Kindern und Jugendlichen enthalten?

Ja, genau. Mit dem Konzept soll jedem klar sein, worauf er beim korrekten Umgang mit den Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen zu achten hat. Auch um für sich selbst den Anschein eines Fehlverhaltens zu vermeiden. Den Kindern und Jugendlichen wiederum soll klar sein, dass sie sich in einem geschützten Bereich bewegen. Sie sollen wissen, wie sie sich bei dem Gefühl verhalten, dass da etwas passiert, was für sie nicht in Ordnung ist. Das muss den Rechtsrahmen nicht einmal überschreiten. Den Kindern und Jugendlichen muss klar sein: Sie können sich äußern, ohne Repressalien zu befürchten.

Können Sie uns die Verhaltensanforderungen vielleicht an einem praktischen Beispiel veranschaulichen?

Gerne. Nehmen Sie eine Messdiener-Fahrt. Da muss ich mir überlegen: Welche Räumlichkeiten können die Messdiener aufsuchen, um sich zu duschen? Wo bin ich zu diesem Zeitpunkt? Bin ich da allein oder mit anderen, zum Beispiel in einer größeren Gruppe, auch um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.

Wie wird dieses Konzept im Wesentlichen um- und durchgesetzt?

Also gedacht ist an grundsätzliche Schulungen, wie sie ja 2014/15 erstmals stattgefunden haben. Jetzt sollen sie in festen Intervallen wiederholt werden. So wollen wir das Bewusstsein ständig von neuem schärfen, was geht und was nicht geht. Einfach, weil Erlerntes im Alltag schon mal in den Hintergrund geraten kann. Es ist wichtig, dass Kinder, Jugendliche und Betreuer sich gewiss sein dürfen: Hier ist für uns eine Umgebung und Atmosphäre geschaffen, in der wir sicher sind.

Werden Sie als Präventionsbeauftragter auch Ansprechpartner beim Verdacht auf Missbrauch sein?

Ja, bei Verdachtsfällen in der Gemeinde bin ich der Ansprechpartner und werde dann das weitere Vorgehen klären. Wobei ich mir für dieses Vorgehen noch klarere Richtlinien des Bistums, zum Beispiel einen genauen Ablaufplan, wünschen würde. Wie melde ich den Verdacht beim Bistum? Wie wird mit diesem Verdacht weiter verfahren? Melden wir den Fall gleich an die Staatsanwaltschaft?

Würden Sie mit einer Meldung warten wollen?

Nein. Ich würde den Verdacht der Staatsanwalt anzeigen. Dennoch muss das Bistum meines Erachtens klar formulieren, was es von den Präventionsbeauftragten verlangt. Wenn sich der Vorwurf als berechtigt erweist, ist der Schuldige nach dem Gesetz zu bestrafen und von Kindern und Jugendlichen zu deren Schutz zu entfernen. Was aber, wenn sich die Beschuldigung als falsch erweist? Darin sehe ich ein großes Problem. Solche Fälle kommen schließlich auch vor. Ich habe im schulischen Umfeld mit ihnen zu tun gehabt. Was wird dann mit diesen zu Unrecht Beschuldigten? Wie sollen sie nach einem derartigen Vorwurf insbesondere als Hauptamtliche in der Gemeinde weiterwirken?

Bei welchen Kennzeichen sollten Eltern denn Verdacht schöpfen, ihr Kind könnte Opfer sexualisierter Gewalt geworden sein?

Wenn sich ganz plötzlich das Verhalten Ihres Kindes ändert, bei Waschgewohnheiten vielleicht. Damit meine ich selbstverständlich nicht die üblichen pubertären Abgrenzungen, wenn das Kind anders als vorher beispielsweise die Tür beim Duschen schließt. Schreckt es aber regelrecht vor Berührungen zurück oder wird plötzlich sehr still und in sich gekehrt, dann sollten die Eltern genauer hingucken.

Und in solchen Fällen suche ich das Gespräch mit Ihnen?

Ja, genau. Für den Kontakt werden Ihnen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Sie können mich anrufen oder auch anmailen. Oder sich bei meiner Kollegin im Amt melden. Seit kurzem haben wir mit Claudia Gruber neben mir auch eine Präventionsbeauftragte. So sind wir für jedwede Gesprächssituation der Betroffenen offen.

Hinweise zur Tagung der Katholischen Erwachsenenbildung Hannover und des Diözesanrates der Katholik*innen im Bistum Hildesheim finden Sie hier: <link https: www.keb-net.de media hannover external-link-new-window externen link in neuem>klick

Mit Dank an den Bernwardboten in Lehrte: Dort erschien das Interview zuerst <link https: www.st-bernward-lehrte.de external-link-new-window externen link in neuem>www.st-bernward-lehrte.de

Jörg Wieters