Schmaler Grat zwischen Selbstbestimmung und Schutz

Katholische Akademie Hannover und Bischöfliche Stiftung Gemeinsam für das Leben: Diskussion über den assistierten Suizid

„Wem gehört das Leben, wer bestimmt das Sterben?“: Es ist alles andere als eine einfache Frage, die die Bischöfliche Stiftung Gemeinsam für das Leben und die Katholische Akademie Hannover bei einer Podiumsdiskussion im Niedersächsischen Landesmuseum in den Mittelpunkt rücken.

Sterbehilfe ist nicht gleich Sterbehilfe. Rechtlich wird zwischen assistiertem Suizid sowie aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe unterschieden. Aktive Sterbehilfe durch das Verabreichen eines tödlich wirkenden Medikaments ist in Deutschland verboten, das ist Tötung auf Verlangen und wird mit mindestens sechs Monaten und höchsten fünf Jahren Haft geahndet. Auch der Versuch ist strafbar.

Allerdings hob das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Recht auf selbstbestimmtes Sterben hervor – und das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zum Beispiel durch passive Sterbehilfe, also dem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen wie dem Stopp der Beatmung, dem Ende von Bluttransfusionen oder dem Verzicht auf Ernährung. Indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn ein in erster Linie Schmerzen linderndes Medikament Nebenwirkungen aufweist, die Menschen früher sterben lassen. Auch das ist in Deutschland erlaubt. 

Der assistierte Suizid dagegen ist in einer rechtlichen Grauzone: Hier geht es um das Beschaffen oder Bereitstellen eines tödlich wirkenden Mittels, das Sterbewillige selbst einnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Politik aufgefordert, einen rechtlich klaren Rahmen zu schaffen. Dabei empfehlen die Karlsruher Richter*innen auch ein Schutzkonzept, das Missbrauch ausschließt. Das ist aber bisher ausgeblieben, im Juli dieses Jahres fand sich im Deutschen Bundestag für zwei unterschiedliche Gesetzentwürfe keine Mehrheit.

"Assistierter Suizid ist kein Tabu mehr"

Eine Folge des Herausstellens des Rechtes auf ein selbstbestimmtes Sterben durch das Bundesverfassungsgericht, sei deutlich spürbar, sagt Heike Adler zu Beginn der Podiumsdiskussion: „Der assistierte Suizid wird offen angesprochen, er ist kein Tabu mehr.“ Heike Adler ist Hospizkoordinatorin Malteser Hilfsdienst in Hannover. Über den Hospizdienst des katholischen Wohlfahrtsverbandes werden Schwerstkranke und Sterbende mit ihren Angehörigen betreut – zu Hause und in stationären Einrichtungen. 

Auch wenn ein deutlicher Schwerpunkt auf Zuwendung und Gespräche, auf das Lindern von Schmerzen gelegt wird: „Es kommen Nachfragen und sie werden mehr.“ Bei allen rechtlichen Regelungen, die aus Sicht von Heike Adler dringend notwendig sind, müsse ein wesentlicher Aspekt berücksichtigt werden: „Sterben ist von Phasen geprägt, von der Hoffnung, dass es besser wird, von der Erfahrung, es nicht mehr auszuhalten.“ Daher brauche es einen Schutzraum für Sterbende, mit Zeit, mit Betreuung: „Gerade unsere ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleiter können diese Zeit aufbringen, die wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen.“

Auch Professor Dr. Alfred Simon spricht sich für den Schutzraum aus, den ein Gesetz bieten muss. Wenn auch mit einem anderen Akzent: „Bei allen Alternativen, die geboten werden, wird es immer Menschen geben, die sich für einen assistieren Suizid entscheiden“, betont der Leiter der Akademie für Ethik in der Medizin an der Universität Göttingen. Denn es seien nicht ausschließlich medizinische Gründe, die Menschen einen Todeswunsch entwickeln lassen.

An einen frei verantwortlichen Suizid seien Kriterien gebunden; „Einwilligungsfähigkeit der Person, das volle Bewusstsein über die Entscheidung, kein Druck, auch eine gewisse Kontinuität des Todeswunsches“, erläutert Simon, der auch Mitglied des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer ist. Diesen Rahmen müsse ein Gesetz regeln, damit entsprechende medizinische Leitlinien entwickelt werden können.

"Politische Frage, die vom Gesetzgeber entschieden werden muss"

Für einen rechtssicheren Zugang zum selbstbestimmten Sterben sprach sich zudem Professor Dr. Gunnar Duttge von der Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht der Universität Göttingen aus. Denn das viel zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe deutlich gemacht, dass das Strafrecht nicht der Platz ist zwischen der Autonomie Suizidwilliger und dem hohen Rang des Lebens abzuwägen: „Das ist eine politische Frage, die vom Gesetzgeber entschieden werden muss.“ Suizid sei seit spätestens 1871 in Deutschland nicht mehr strafbar, folglich kann es auch die Beihilfe nicht sein, erklärt Duttge, der wiederholt den Niedersächsischen Landtag wissenschaftlich beraten hat. 

Ein realistischer und rechtssicherer Weg sei aus zwei weiteren Gründen vonnöten. Zum einen, um Kommerzialisierung auszuschließen, ein Recht dürfe keine Sache des Geldes sein. Zum anderen, um „vulnerable“ also verletzliche, beeinflussbare Menschen zu schützen: „Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstbestimmung und Schutz, das ist der Preis, den wir für die freie Entscheidung zahlen müssen.“ Denn eine freie Entscheidung sei immer „fern von Nötigung und Zwang“. Das müsse durch ein Schutzkonzept sichergestellt werden.

Bischof Heiner Wilmer verweist in der Diskussion auf die gemeinsame Position der evangelischen und katholischen Kirche in Niedersachsen: „Für uns ist der assistierte Suizid nicht mit dem kirchlichen Selbstverständnis vereinbar.“ Zwar habe sich die katholische Lehre verändert: „Früher wurde ein Mensch, der sich getötet hat, nicht auf einem katholischen Friedhof beerdigt, heute beten wir für sie und bestatten sie christlich.“ Dennoch darf es nach den Worten von Wilmer „gesellschaftlich nicht zur Normalität werden, sich das Leben zu nehmen oder anderen dabei zu helfen.“

Wilmer, auch Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, plädiert für einen umfassenden Schutzraum zur Suizidprävention und für Beratungsangebote für Menschen, die nicht mehr leben möchten: „Sowohl die Hospizarbeit und die Palliativversorgung als auch die Beratungsangebote zur Suizidprävention müssen weiter ausgebaut werden – fachlich kompetent, menschlich zugewandt und mit Zeit.“  Denn es sei unerlässlich, Menschen mit einem Sterbewunsch die Sorge zu nehmen, dass sie mit ihrem Weiterleben zu einer Last werden könnten. Das Abwägen zwischen Autonomie des Einzelnen und Schutz von verletzlichen Menschen, zwischen Selbstbestimmung und Solidarität, wem das Leben gehört und wer das Sterben bestimmt, ist „immer eine Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“.

  • Hilfe bei Suizid-Gedanken
    Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner*innen. 


    Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222, www.telefonseelsorge.de

 
    Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111, www.nummergegenkummer.de

Rüdiger Wala