So schmeckt Solidarität

Soli-Tafel auf dem Platz vor der Basilika St. Clemens

„Gemeinsam zu Tisch“ – unter diesem Leitgedanken sind im Laufe der Mittagsstunden am Samstag, 17. September, gut 500 Menschen auf dem Platz vor der Basilika St. Clemens zusammengekommen: für ein kostenloses Mittagessen, für Musik, Gespräche, Angebote für Kinder – und wichtige Worte für eine solidarische Gesellschaft.

„Es geht uns als Christinnen und Christen um die Menschen, die um Teilhabe kämpfen müssen, die durch ihre Lebensumstände an den Rand gedrängt werden“, betont Felizitas Teske als Sprecherin der Katholischen Kirche in der Region Hannover. Zusammen mit dem Caritasverband und den Maltesern hatte die Katholische Kirche zu der Solidaritätstafel auf dem Platz vor der Basilika St. Clemens nahe der Innenstadt von Hannover eingeladen: "Uns geht es um Würde, Respekt, Ermutigung, Teilhabe und Zusammenhalt“, hebt Felizitas Teske hervor: „Das ist die Kraft einer solidarischen Gesellschaft.“

„Gemeinsam zu Tisch, das steht sinnbildlich für unsere Stadt“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay in einem Grußwort: „Sich unterhaken ist in den letzten zwei Jahren so wichtig gewesen und wird auch in den nächsten Monaten wieder sein.“ Die Stadtverwaltung sei in die Pflicht genommen worden, Strukturen schaffen, damit Menschen Hilfe auch wirklich bekommen: „Wir haben daher den neuen Fachbereich gesellschaftliche Teilhabe geschaffen, der zum Beispiel mit den Wohlfahrtsverbänden eine neue Winternothilfe für Wohnungslose ermöglicht hat.“ Dennoch sei es wichtig, dass die Stadtgesellschaft, die Kirchen, die Caritas und die Malteser weiter ihre Fühler ausstrecken: „Nur so können wir gemeinsam maßgeschneiderte und präventive Angebote entwickeln.“

Für Dr. Udo Niedergerke ist die Tafel vor der Basilika St. Clemens gelebte Solidarität: „Niemanden ausgrenzen, das ist das Gebot der Stunde.“ Gemeinsam mit seiner Frau Ricarda hat Niedergerke 2008 eine Stiftung ins Leben gerufen, die gezielt wohnungslose Menschen unterstützt. Aber trotz verbesserter staatlicher Hilfen werde die Zahl notleidender Menschen zunehmen: „Ein mörderischer Krieg, dramatisch steigende Energiekosten, eine galoppierende Inflation – das ist für viele Menschen trotz staatlicher Hilfe nicht zu stemmen.“ Dafür braucht es weiter die Solidarität der Gesellschaft.

Mit der Solidaritätstafel wollen die Katholische Kirche in der Region und der Caritas vor allem für fünf Gruppen Akzente für ein besseres, bunteres Miteinander in Hannover setzen: für Flüchtlinge, alte und kranke Menschen, für Familien, Wohnungslose und Kinder und Jugendliche. Für Thomas Heek vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist Solidarität gleichbedeutend mit der Gestaltung von Zuwanderung: „Wir warten immer auf Großereignisse, sei es die Machtübernahme der Taliban, die sogenannte Flüchtlingskrise oder Kriege wie in Syrien oder wie jetzt in der Ukraine.“ Dabei brauche es kontinuierlich Aufnahmestrukturen, nicht nur in angeblich besonderen Zeiten. „Deutschland ist ein Zuwanderungsland“, unterstrich Heek: "Wir brauchen dauerhaft Strukturen und Ansprechpersonen, damit Menschen hier schnell ankommen können.“ Beratungsstellen müssen dauerhaft in die Lage versetzt werden, Zuwander*innen und Flüchtige zu begleiten – mit Integrations- und Sprachkursen, eingebettet in ein System aus staatlichem und nachbarschaftlichem Engagement. Doch aktuell drohen sowohl auf Bundes- und Landesebene Kürzungen: „Das wäre ein fatales Zeichen.“

Auch im Alter kann Migration ein Problem bedeuten, sagt Dr. Cornelia Goesmann, die Vorsitzende des Seniorenbeirates der Stadt Hannover. Von den 135 000 Senior*innen, die in der Landeshauptstadt leben, gelten 15 Prozent als arm. Unter denen mit migrantischen Wurzeln sind es 31 Prozent: „Oftmals haben sie in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet.“ Und Altersarmut hat ein weibliches Gesicht: „Kinder erzielen, Teilzeit arbeiten, Eltern pflegen, ohnehin schlechter bezahlt zu werden – das alles schmälert die Rente von Frauen.“ Das kennen die Tafeln in Hannover, aber auch die Straßenambulanzen. Dort mehrt sich nach Angaben von Goesmann die Zahl von älteren Menschen, die nicht wohnungslos sind, aber trotzdem die Zuzahlungen für Medikamente nicht bezahlen können. Gleichzeitig versuche Hannover im Rahmen der altersgerechten Stadt auch Begegnungsräume in den Quartieren für alte, kranke und einsame Menschen zu schaffen: „Ein guter Ansatz, aber wir sehen noch nicht, wie wir tatsächlich die erreichen, die sich zurückziehen.“

Noch eine Zahl: „21 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Niedersachsen sind von Armut betroffen – und Kinderarmut ist Familienarmut“, betont Christine Volland, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände Niedersachsens. Auch hier sind Menschen mit Migrationshintergrund stärker betroffen. Unzureichende finanzielle Unterstützung mit vielen bürokratischen Hürden, die Flucht vor Krieg und Gewaltherrschaft, chronische Krankheiten, Behinderung: „Wir sollten allen Respekt haben vor Familien, die solche existenziellen Nöte aushalten.“ Ein entscheidendes soziales Problem ist der Wohnungsmangel: „Wenn die Wohnung zu eng ist, fehlen Rückzugsräume.“ Das belaste Familien schwer. Es gelte, Krippen- und Kitaplätze weiter für eine inklusive Betreuung auszubauen und flexiblere Arbeitszeiten für ein besseres Vereinbaren von Familie und Beruf zu gewährleisten. „Doch es braucht auch gemeinsame freie Zeit, wie einen arbeitsfreien Sonntag“, unterstreicht Volland: „Tragfähige Bindungen kommen nicht von allein.“

Der Mangel an Wohnraum zeige sich auch an den weiter steigenden Zahlen an obdachlosen Menschen, sagt Monika Nordhorn vom Caritasverband Hannover: „Jeder wohnungslose Mensch muss ein Dach über Kopf bekommen, das ist die Grundlage jeder Hilfe und jeder Perspektive“, betont Nordhorn. Ein weiteres Problem: die medizinische Versorgung: „Viele wissen nicht, wohin.“ Mittlerweile nehme die Caritas in der Wohnungslosenmedizin und Straßenambulanz 4000 Behandlungen im Jahr vor. Zudem biete die Caritas obdachlosen Menschen eine Krankenwohnung als Anlaufstelle und Hilfe, zum Beispiel nach Krankenhausaufenthalten an: „Wir können danach 30 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, in eine Wohnung vermitteln.“ Auch das zeige, wie entscheidend ein Dach über dem Kopf als erster Schritt für die weitere Hilfe ist.

Kai Kotmann lenkt den Blick auf die Situation von Kindern und Jugendliche nach der Corona-Pandemie mit ihren sozialen Isolierungen: „Junge Menschen sind besonders betroffen, mit Schlafstörungen, Depressionen, suizidale Gedanken und Flucht in fiktive Welten“, beschriebt es der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Region Hannover: „Das lässt Kinder und Jugendliche der Gesellschaft entgleiten.“ Die Teilhabe an Gemeinschaft müsse ihnen zurückgeben werden – durch gemeinschaftliche Erlebnisse, regelmäßige Sozialkontakte in Einrichtungen, Ferienfreizeiten: „Es kann nicht nur um Nachholprogramme für Wissen und Bildung gehen.“ Gerade die sozialen Bedürfnisse seien ernst nehmen. „Solidarität heißt alle Kinder und Jugendliche in Blick zu nehmen“, betont Kotmann: „Bedürftigkeit nicht sofort ersichtlich."

„Wie gehen wir künftig miteinander um, das ist die eine Frage von Solidarität“, hebt Diakon Ingo Langner für die Katholische Kirche in der Region Hannover nach den fünf Impulsen hervor. Die andere Frage betrifft die nach einer nach größerer Gerechtigkeit für alle: „Eine solidarische Gesellschaft schließt auch das Umverteilen von Reichtümern ein.“

  • Die Solidaritätstafel findet im Rahmen des Godehardjahrs im Bistum Hildesheim statt. Sie wird unterstützt von der Ricarda und Udo Niedergerke Stiftung, dem Heimatwerk Hannover, dem Bezirksrat Mitte der Stadt Hannover und der Stiftung Kirche sein in der Region Hannover.

Rüdiger Wala