Um 16 Uhr steht der Bauer auf, um das Vieh zu füttern.

Alzheimertagung im Bildungshaus St. Clemens

Jeder Mensch, so auch der demente, sagt Dietrich Kumrow, soll sein Leben als sinnvoll erleben. Dazu gehört für den Diplom-Sozialarbeiter, Altenpfleger und Sozialwirt aus Wien, das Verständnis dafür, dass sich der demente Mensch diese Sinnhaftigkeit erschafft, indem er sich Vergangenheit konstruiert. Wir hatten einen Bauern in unserem Heim, der stand jeden Tag um 16 Uhr vom Stuhl auf, um das Vieh zu füttern. Für die Demenzerkrankten sei dieser Bezug zur Vergangenheit die Möglichkeit, Sinn in ihrem Leben zu empfinden. Dies ist ihre Kraftquelle, aus der sie schöpfen, so Kumrow. Die Aufgabe der Pflege ist es, dort einzusteigen und den Zupflegenden dort abzuholen.

In seinem Vortrag stellte Kumrow den rund 70 Teilnehmern der Fachtagung Alzheimer: Ist ein Schlüssel zur Erklärung und zum Verständnis in der Biografie zu suchen?  eine These vor, welches eine Möglichkeit sein könnte, die zum Entstehen von Demenz beitragen könne. Demenz wirkt wie ein chronifizierter, traumatischer Zustand. Gerade in der älteren Generation könnten das nicht verarbeitete Kriegserlebnisse wie Missbrauch sein.

In einem anderen Vortrag berichtete Hans-Robert Schlecht über seine Initiative RosenResli Kultur für Menschen mit Demenz in Stuttgart. Vater und Sohn Schlecht konfrontieren die dementen Menschen mit der Kultur aus ihrer früheren Zeit. Wir versuchen mit speziellen Museumsführungen, Theateraufführungen oder mit Filmvorführungen in alten Kinosälen, die Menschen da abzuholen, wo sie sind in ihrer eigenen Welt, in der Vergangenheit, so Schlecht. Dabei könne es passieren, dass Menschen, die sonst teilnahmslos im Rollstuhl säßen, plötzlich auftauten, aufständen und plötzlich gehen würden. Noch während der Führung oder während der Theateraufführung sind sie begeistert, singen vielleicht noch mit und kaum verlässt man das Gebäude, dann wissen sie von alldem nichts mehr, sagt Schlecht. Was wir machen ist Kunsttherapie, erklärt er die Initiative RosenResli, aber wir malen keine Bilder oder modellieren Skulpturen, sondern wir setzen auf die nachhaltige Wirkung von Kunstbetrachtung auf Menschen mit beginnendem oder fortgeschrittenem Gedächtnisschwund. Ziel dieser Form der Therapie sei, in den Menschen Bezüge zu ihrer Vergangenheit herzustellen und intensive emotionale Situationen hervorzurufen. Denn intellektuelle Fähigkeiten mögen verschwinden, so Schlecht, und Ereignisse im Nichts versinken, doch Gefühle verlieren ihre Eindringlichkeit nicht.

In verschiedenen Workshops wurden Erfahrungen mit demenzerkrankten Menschen ausgetauscht, die Vorträge noch einmal vertieft oder auch weitere Möglichkeiten aufgezeigt und ausprobiert, wie man Menschen aus ihrer Demenz herauszuholen kann auch wenn es manchmal nur für wenige Augenblicke ist.

Die Alzheimertagung im Bildungshaus St. Clemens wurde in einer gemeinsamen Aktion von der Katholischen Erwachsenenbildung in der Diözese Hildesheim (KEB), der Alzheimergesellschaft Hannover e. V. und der Henriettenstiftung durchgeführt.

Anlässlich der Alzheimerwoche wird am Sonntag, dem 19. September, um 11.00 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in der Neustädter Hof- und Stadtkirche gefeiert.  "Gedenke des ganzen Weges..." lautet das Thema des Gottesdienstes, zu dem besonders Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen, Bekannten und Nachbarn eingeladen sind. Mit dabei sind Landessuperintendentin Dr. Ingrid Spiekermann und Regionaldechant Propst Martin Tenge.

(pkh)