Was Warmes in den Bauch

Ökumenische Essenausgabe im Keller von St. Clemens

Es ist kurz nach Halb elf. Richard, Julius, Darius und Hannah kommen nacheinander in die Suppenküche, wie die kumenische Essensausgabe im Keller der St. Clemens Propstei kurz genannt wird. Die vier sind Schüler der Ricarda Huch Schule und absolvieren hier ein Sozialpraktikum. Sie helfen dem ehrenamtlichen Team um Diplom-Pädagogin Ina Tatje bei allen anfallenden Arbeiten. Vor allem arbeiten wir in der Spülküche, sagt der 14jährige Richard. Die Arbeit ist für die Jugendlichen ungewohnt und manchmal muss man sich auch ein bisschen überwinden. Manchmal helfen die Jugendlichen auch bei der Essenausgabe, verteilen Brot an den Tischen oder schenken Kaffee und Tee nach. Ab und zu kommen wir auch mal mit den Obdachlosen ins Gespräch, sagt der 15jährige Julius, aber viele wollen gar nicht mit uns reden. Andere erzählen dann aber auch schon mal ihre ganze Lebensgeschichte. Das zu verarbeiten ist nicht immer so einfach.  Da ist dann die Rede von Scheidung, Schicksalsschlägen, Arbeitsplatzverlust, Hartz-IV-Empfänger, Geld verzockt, nur eine geringe Rente, Schulden  - es gibt viele Gründe, warum Menschen hierher in die Suppenküche kommen. Allen gemeinsam ist: Ihr monatliches Einkommen reicht vorne und hinten nicht.

Jeden Tag kommen zwischen 130 und 140 Obdachlose, Wohnungslose und arme Menschen in den Keller von St. Clemens, um sich eine warme Mahlzeit zu holen. Es ist Elf Uhr, Ina Tatje schließt die Kellertür auf. Die ersten warten schon, freuen sich auf die einladende Wärme. So wie Karl, der mit seinen Plastiktüten und der zerschlissenen Hose auf einen Stuhl an der Heizung zusteuert. Ich komme erst seit einem Jahr hier her, sagt der 52jährige und zeigt auf einen anderen, der kommt schon seit 10 Jahren. Aber auch Karl, der sogar bei Eis und Schnee noch draußen schläft, ist in der Suppenküche bekannt - nicht erst seit einem Jahr. Er gehört schon zum Stammklientel. Hauptsache ich kriege hier was Warmes in den Bauch, sagt Karl. Und es schmeckt ihm, versichert er. Nur eines versteht er nicht, dass die Suppenküche an seinem Geburtstag nicht geöffnet hat. Aber der ist im Juni. Die Suppenküche hat nur in der kalten Jahreszeit geöffnet, von Dezember bis in den März hinein. Gerade für die, die auch bei eisigen Temperaturen noch im freien schlafen, also Platte machen, ist die tägliche warme Mahlzeit wichtig. Vier Mal gibt es Suppe und ein Mal gibt es Fleisch, erzählt Karl. Von Montag bis Samstag hat die Suppenküche geöffnet, von 11 bis 13 Uhr. Sonntags bleibt die Küche kalt, da muss ich dann Brot und sowas essen, sagt Karl.

Inzwischen gehen Hannah und Darius von Tisch zu Tisch. Mit dabei haben sie in Thermoskannen heißen Kaffee. Das tut jetzt richtig gut, sagt Sonja und ihr Tischnachbar Herbert ergänzt: Gerade wenn es draußen so kalt ist, komme ich gerne hier her. Die zwei sind wohnungslos und kommen regelmäßig zur Suppenküche, denn so kann man die Lebenshaltungskosten wenigsten ein bisschen senken.

Julius und Richard räumen zwischendurch die leeren Teller ab. Bevor sie in der Spülküche abgewaschen werden, werden die Teller gezählt. Dann wissen wir genau, wie viele Gäste heute da waren, erklärt Ina Tatje. Das Essen selbst wird nicht hier im Keller gekocht, sondern wird im Friderikenstift abgeholt. Doch manchmal, wenn der Ansturm zu groß ist, kommt es vor, dass das Essen nicht reicht. Für den Fall der Fälle, so Tatje, haben wir immer genügend Konserven als Reserve. Niemand wird hier weggeschickt, weil das Essen nicht reicht.

Es ist zehn nach eins, die Schüler der Ricarda-Huch-Schule sind ganz schön geschafft, aber es macht ihnen auch Spaß. Die Erfahrungen, die sie hier während ihres Praktikums sammeln, möchten sie nicht missen. Und Hannah kann sich sogar vorstellen: Vielleicht komme ich mal wieder und mache dann hier als Ehrenamtliche mit! Jetzt helfen sie den Ehrenamtlern dabei, aufzuräumen, die Tische abzuwischen und die Stühle hochzustellen. Und in der Spülküche werden die inzwischen die großen Töpfe geschrubbt. Eigentlich machen wir um 13 Uhr hier zu, sagt Ina Tatje, aber wer noch nicht aufgegessen hat, den setzen wir nicht vor die Tür. Eigentlich halten sich aber alle an die ffnungszeiten.

Karl hat auf seinem Platz an der Heizung noch ein kleines Nickerchen gemacht, nach einem letzten Schluck Kaffee, verabschiedet er sich mit einer theaterreifen Geste, greift seine Plastiktüten und verschwindet irgendwo in die Stadt, dahin, wo er irgendwo einen kleinen Unterschlupf hat. 

(pkh)

 

Fotos: 3 Jens Schulze / 1 Edmund Deppe