Was will das Leben?

Klosterherbst der Cella St. Benedikt in Hannover

„vision leben – Wie das Leben möchte, dass wir leben.“ ist der Leitgedanke des Klosterherbstes der Ordensmänner der Cella Sankt Benedikt, in der Zeit vom 8. bis zum 23. Oktober stattfindet. Mit Vorträgen, Konzerten, Workshops und einem Online-Kongress wird erkundet wie ein gutes und nachhaltiges Leben gelingen kann. Nachfragen an Bruder David Damberg.

Zum zweiten Mal nach 2019 bietet die Cella St. Benedikt in Hannover einen Klosterherbst. Er steht unter dem Leitgedanken „vision leben“. Warum?

Man kann in dieser Zeit oft die Frage hören, wie wir leben wollen. Doch diese Frage führt uns letztlich wieder in die nächste Krise. Wir glauben, dass wir stattdessen das Leben selber danach fragen sollten, was es von uns will. Wie kann sich unser Leben so gestalten, dass es ihm selbst dient und uns in die Zukunft führt? Das ist unsere Leitfrage. Der Klosterherbst ist sozusagen eine Zeit des Forschens und Erkundens, um Antworten zu finden.

Ist dieser ja durchaus doppeldeutig zu lesende Leitgedanke – eine Vision für das Leben oder Leben als Vision – auch als Reaktion auf die großen Ängste, Pandemie, Krieg. Klimawandel, Inflation zu verstehen?

Ja, ganz genau. Unsere Zeit ist ungeheuer herausfordernd und stellt alles infrage. Wir alle spüren, dass die Pandemie, der Krieg, der Klimawandel und all diese bestehenden und kommenden Krisen Symptome einer neuen Zeit sind, die aktuelle Antworten braucht. Es geht um eine neue Stabilität und ein inneres Fundament. Und es geht um eine neue Art zu leben, die vielleicht gar nicht immer so neu ist.

Beim Blick durch das Programm fällt auf, dass in vielen Veranstaltungen „Innerlichkeit“ thematisiert wird. Es geht um Ängste und Befürchtungen, um das Erleben des eigenen Körpers, um Herzschlag und den inneren Frieden. Ist dieser Blick in das eigene Innere jetzt auch als Reaktion auf diese bedrohenden Zeiten zu verstehen?

Wir hören immer wieder, man möge auf die Wissenschaft hören, und das ist sicherlich in vielen Fällen auch wichtig. Aber die Wissenschaft ist kein Ort, der uns Orientierung geben kann oder uns in eine neue Art des Lebens führen wird. Was es jetzt neben einer klugen Wissenschaft braucht, ist tiefe Weisheit. Diese Weisheit aber hat wenig mit Denken zu tun, sondern mit der Bereitschaft, in Resonanz zu gehen, Wahrnehmungen wertzuschätzen und durch das Erspüren der Wirklichkeit zu einer anderen Art von Wissen zu kommen. Das aber gelingt vor allem, wenn wir einen lebendigen Bezug zum eigenen Inneren haben.

Das Programm gliedert sich wieder in Vorträge, Workshops, Musik und einen Online-Kongress. Welche Aspekte werden in den Vorträgen erörtert?

Die Vorträge bieten verschiedene Sichtweisen auf unser Thema und auch auf das Leben selbst. In einem Vortrag wird der Frage aus kontemplativer Sicht nachgegangen. In einem zweiten Vortrag wird die transpersonale Psychologie herangezogen, also die Psychologie, die sich mit spirituellen Erfahrungen beschäftigt. Und schließlich nähern wir uns weiteren Antworten durch die Phänomenologie, also aus der philosophischen Perspektive der unvoreingenommenen Wahrnehmung des Lebens. Ich glaube, dass sich diese drei Perspektiven am Ende treffen werden und der Unterschied klein sein wird.

Die Workshops scheinen diese Aspekte mit praktischen Übungen und eigenem Erleben zu vertiefen. Warum ist das so wichtig?

Wir wollen nicht nur nachdenken, sondern unser Ziel mit dem Klosterherbst ist es, den Menschen auch etwas an die Hand zu geben, das sie in ihrem eigenen Alltag umsetzen können. Das Klosterleben ist ja auch immer sehr konkret und praktisch und von daher war bei der Planung des ersten Klosterherbstes schnell klar, dass wir auch konkrete Übungen und Praktiken anbieten möchten.

Der Online-Kongress beschäftigt sich mit einer Frage, die von der Gesellschaft gerne ignoriert wird – den eigenen Ängsten und wie Zukunft aus einer Erkrankung, aus Trauer oder sogar aus der Begegnung mit dem Tod entsteht. Geht so etwas digital?

Wir bieten in diesem Online-Kongress drei Live-Interviews und einen Live-Vortrag von Luise Reddemann, die ja als Traumatherapeutin deutschlandweit bekannt ist, an. Wir möchten nicht nur Menschen in unserer Region in Hannover erreichen, sondern möglichst viele Menschen ermutigen und berühren. Das digitale Format, das konnten wir vermutlich alle in den letzten Jahren lernen, vermag mehr, als man denkt. Und wenn Menschen authentisch von ihren Erfahrungen berichten, dann ist es eigentlich egal, ob ich es lese, am PC anschaue oder in einem Vortragssaal sitze und zuhöre. Es wirkt immer.

Welche Akzente werden musikalisch gesetzt?

In dem Konzert „Lichtgarten“ und der gleichnamigen Auftragskomposition von Andreas Schmidt bekommen vorgelesene Berichte von Nahtoderfahrungen eine musikalische Antwort. Im zweiten Konzert stehen Texte aus den Visionen der heiligen Hildegard von Bingen im Zentrum, die ebenfalls vorgelesen werden und zu denen gregorianische Gesänge und Klänge aus Funk und Soul-Jazz zu hören sein werden.

Und dann setzt sich der Klosterherbst ja noch in Bewegung – mit einem Gang durch die Stadt, bei dem Lebensorte erkundet werden. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ja, diese Art der Erkundung der Stadt hatten wir schon beim ersten Klosterherbst. Als Stadtkloster haben wir eine starke Bezogenheit zu unserer Stadt. Ich finde es spannend, die Stadt unter verschiedenen Themen zu erkunden. Und hier geht es darum, Lebensorte zu besuchen, in denen ganz konkret und in verschiedenen Facetten sich das Leben ereignet. Und wo Leben ist, da ist auch Spiritualität.

Noch mal mit Blick auf die großen Linien des Programms: Es geht um Ängste, um Hoffnung gewinnen, häufig aber aus einer eher psychotherapeutisch geprägten Sicht. Wo ist das Verhältnis zur Seelsorge?

Die heutige Psychotherapie hat kein Verhältnis zur Seele und kennt diesen Begriff im Grunde auch nicht mehr. Von daher sehe ich in unserem Programm weniger Psychotherapie als vielmehr viel Seelsorge, auch wenn es nicht immer so ausdrücklich benannt wird. Wie schon angesprochen, geht es um viel Innerlichkeit, um das innere Erkunden, um Erfahrung und darum, den tiefen Ton des Lebens in allem zu suchen und wieder zu hören. Mit anderen Worten kann man auch sagen, es geht darum, Gott zu suchen.

  • Das Programm zum Klosterherbst, weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten sind unter klosterherbst.de zu finden. Für einzelne Veranstaltungen wird ein Teilnahmebeitrag. Die Tickets können dafür auf der Webseite online erworben werden.
  • Der Online-Kongress „Zukunft aus Gebrochenheit“ beschäftigt sich vom 7. bis zum 20. Oktober mit der Frage, wie aus Schicksalsschlägen, aus Situationen von Begegnung mit schwerer Krankheit, Tod, Trauer und Gewalt Zukunft erwachsen kann. Alle Angebote dieser Reihe sind kostenlos.
  • Der Klosterherbst wird finanziell unterstützt vom Godehardjahr im Bistum Hildesheim, der Klosterkammer Hannover, der Calenberg-Grubenhagensche Landschaft und der Bank für Kirche und Caritas

Interview: Rüdiger Wala