Briefe an eine Freundin

Schulpraktikum im Karmel St. Josef in Hannover

Mit Lina Franzesko hat erstmals eine Schülerin ein Praktikum im Karmels St. Josef in Hannover gemacht: Mit viel Zeit für Gesprächen und zum Nachdenken über die Dinge im Leben, die wirklich tragen.

An die Reaktion ihrer Mutter kann sich Lina Franzesko noch genau erinnern: „Sie hat mich natürlich ganz komisch angeguckt.“ Denn die 17-jährige Schülerin der Tellkamp-Schule in Hannover hatte ihr gerade gesagt, dass sie ins Kloster geht. Zwar nicht als Lebensentscheidung, sondern für ein zweiwöchiges Praktikum. Aber trotzdem mehr als unerwartet.

Denn zum einen dienen Schulpraktika eher dafür, Einblicke in das künftige Berufsleben zu gewinnen: 14 Tage in einem Unternehmen oder einer Verwaltung, erste Erfahrungen sammeln, wie Arbeitswelt so funktioniert. Zum anderen: Die Familie Franzesko ist alles andere als religiös: „Wir hatten überhaupt keinen Bezug zum Glauben“, erzählt Lina Franzesko. Sie selbst ist nicht getauft und den Religionsunterricht in der Schule hat sie nicht besucht.

 Wie kommt dann aber eine 17-Jährige auf eine solche Idee? Wiederum zwei Gründe. Zum einen: „Ich hinterfrage sehr viel, ich suche nach einer Handlungsgrundlage für mein Leben“, beschreibt es Lina Franzesko. Doch wenn die Grundlage noch nicht da ist, wie für eine berufliche Tätigkeit entscheiden? Philosophin ist kein scharf abgegrenztes Berufsfeld.

"Opium des Volkes"?

Da kommt als Grund Nummer zwei das Kloster ins Spiel: „Ich habe mich gefragt, wo es Orte gibt, an denen sich Menschen mit grundlegenderen Fragen beschäftigen.“ Einer dieser Orte sind Klöster. Also doch Religion statt Philosophie. Die erste Idee von Lina Franzesko ging in Richtung Buddhismus, der zweite aber schon zum Christentum – und nach dem Blick ins Internet, was in Hannover möglich ist, in den Karmel St. Josef.

Mit ihrer Energie überzeugt Lina Franzesko zunächst ihre Schule, dass der ungewöhnliche Praktikumsort der richtige für sie ist. Auch ihren Freundinnen versicherte sie, „dass ich jetzt nicht religiös bekehrt bin“. Denn eine Meinung über Religion im Allgemeinen und die Katholische Kirche im Besonderen hatte sie natürlich im Kopf: „Angefangen bei Karl Marx und Religion als Opium des Volkes.“

Jetzt also Kloster. Der Karmel St. Josef: Fünf feste Gebetszeiten prägen den Tag, dazu morgens und abends eine weitere Stunde stilles Gebet. Nur wenige Arbeiten werden in Gemeinschaft getan. Auch Arbeit ist für die Schwestern eine Möglichkeit, in Stille und Gedanken das Gespräch mit Gott zu führen – das Charisma des Ordens.

Jetzt ist eine nachdenkliche, diskussionsfreudige, kritische 17-Jährige unter den Schwestern. Sie verbringt viel Zeit mit ihnen: „Ich habe sie bei ihrer Arbeit begleitet, in der Nähstube, in der Kerzenwerkstatt oder auch in der Bibliothek“, erzählt Lina Franzesko. Um 12 Uhr folgt das Mittagsgebet: „Das war immer sehr eindrucksvoll.“ Schon allein, weil es immer einen bestimmten Platz für sie gab.

Krachende Möhre in der Stille 

Gegessen hat Lina Franzesko allein – der Vorsicht vor Corona geschuldet. Nach dem Essen ziehen sich die Schwestern in ihr Zimmer zurück, zum Nachdenken, zum Lesen, zum Gespräch mit Gott. Auch Lina Franzesko hatte ein Zimmer und eine Herausforderung: die Stille. „Ich habe in eine Möhre gebissen und das war so laut“, erzählt sie. Sie nutzt diese Zeit für sich zum Nachdenken. Das, worüber sie reflektiert, richtet sie in Briefen an eine Freundin: „Sie ist gerade in Kanada, wir werden erst nach ihrer Rückkehr darüber austauschen.“

Sie schreibt sehr bedacht, eher kurz. Ein Brief, ein Gespräch ohne direktes Echo, über das, was sie im Inneren bewegt. Die Suche nach dem, was im Leben trägt. Eigentlich das, was die Ordensschwestern in Gespräch an Gott andressieren. Hier zeichnet das Schulpraktikum die Berufung der Schwestern nach. „Nachmittags hätte ich dann immer Gespräche mit einzelnen Schwestern“, berichtet Lina Franzesko. Fragen stellen, die Lebensgeschichte hören, nachhaken, wie das denn ist zu glauben: „Das waren immer tiefgründige Erlebnisse für mich.“

Seitenwechsel: Für Sr. Franziska, die als Jüngste des Karmels und erfahrene „Jugendarbeiterin“ erste Ansprechpartnerin von Lina Franzesko, hatten es die Tage durchaus in sich. „Es geht um so intensive Fragen in einer ganz entscheidenden Phase des Lebens.“ Allerdings konnte Sr. Franziska nicht auf die so in Kirche üblichen Symbole, Bilder und Formulierungen zurückgreifen: „Lina hat unsere Selbstverständlichkeiten immer hinterfragt, weil sie nicht mit christlichem Background groß geworden ist.“ Eine gute Übung, kirchliche Sprache übersetzen zu müssen.

Und Lina? „Bekehrt bin ich nicht, nein“, sagt sie. Aber die Vorurteile über Religion und Kirche sind abgefallen. Sie habe begriffen, was Glauben heißt: „Glauben ist eine Entscheidung und sie hat mit Vertrauen zu tun.“ Das ist eine Perspektive, die „sich für mich richtig anfühlt“.

Rüdiger Wala