Wenn Gott zieht ...

Glaubensgeschichten VIII

Anke Lennartz war wütend auf Gott. Daraus wurde ein Lebensweg, der sie als Schwester Franziska erst in die Jugendarbeit im Bergkloster Bestwig und nun in die Nähstube im Karmel St. Josef in Hannover geführt hat.

Manche Gefühle bleiben unauslöschlich im Gedächtnis. Wie Wut. Wut auf Gott. Anke Lennartz ist 15 Jahre alt, als ihr Vater stirbt. „Ich war so wütend, dass ich gedacht habe, einen Gott, der so etwas zulässt, kann es nicht geben.“ Die Einladung zur Firmung, die etwa zeitgleich ins Haus kommt, zerreißt sie.

1989 in Mönchengladbach geboren, ist Anke Lennartz zwar getauft. Katholisch, weil der Niederrhein halt mehrheitlich so ist. Der so früh verstorbene Vater arbeitet als Elektroniker, die Mutter im Einzelhandel. Zur Familie gehört noch ein jüngerer Bruder.

Erstkommunion? „Ja, bin ich gegangen, weil man das so macht.“ Gottesdienst? „Wenn, dann nur zu Ostern oder Weihnachten.“ Glaube ist kein Thema im Hause Lennartz. Bis zum Tag, als der Vater stirbt. Die Wut zieht Kreise: „Den Religionsunterricht in der Realschule habe ich sofort abgewählt.“ Anke Lennartz geht weiter zur Schule, in der Oberstufe wählt sie bewusst Philosophie.

Doch die „Liebe zur Weisheit“, was Philosophie übersetzt bedeutet, bringt ihr keine Antworten auf die Fragen, die sie wirklich beschäftigen: Eine weitere Erkenntnis wächst: „Wenn ich mit Gott ringe, dann muss es ihn wohl geben.“ Gott will nicht nur angehimmelt werden. „Er kann mehr ertragen, auch meine Wut“, sagt Anke Lennartz.

Zwei Jahre dauert dieses Ringen. Bücher lesen, auch mit Lehrern sprechen. Erst stille Besuche in leeren Kirchen, dann wieder Teilnahme am Gottesdienst. Gott macht sich in ihrem Leben breit, er zieht. Der Glaube bekommt eine sichtbare Form und löst eine alte Kindheitserinnerung ab: „Eine meiner Großtanten war Ordensfrau bei den Ursulinen.“ Die Oma hat immer wieder betont, wie ähnlich Anke dieser Großtante doch sei. „Als Kind fand ich das schrecklich“, erinnert sie sich. Doch auf einmal fühlt sich Anke Lennartz von Ordensfrauen „verfolgt“, wie sie sich mit einem Lächeln erinnert. Überall sind sie auf einmal zu sehen: „Nicht nur in der Kirche, auch an der Ampel oder beim Einkaufen.“

Jetzt will sie es wissen. Bucht eine Woche „Ora et Labora“ im Bergkloster Bestwig bei den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel: „Eigentlich wollte ich mir beweisen – das ist es nicht. Aber das ist gründlich schiefgegangen.“ Gott hat wieder gezogen. „Nach der Woche konnte ich nicht wegfahren, ohne zu wissen, wann ich wiederkommen würde“, sagt Anke Lennartz.

Das Gebet wird ihr immer wichtiger

Der Kontakt wird enger. Mal nimmt sie ihre Mutter mit, dann möchte die Oma auch. Anke Lennartz studiert Religionspädagogik, möchte Gemeindereferentin werden – und wird Kandidatin ihres Ordens. 2013 tritt sie ein, im April 2014 folgt die Einkleidung. Aus Anke wird Franziska: „Es ist bei den Postel-Schwestern üblich, dass ein neuer Name angenommen wird.“

Einen Papstnamen wollte sie eigentlich nicht. „Aber dieser Papst ist ja alles andere als unsympathisch“, sagt Schwester Franziska und lacht wieder. Weitere Bedingung: Der Namen darf gerade in der Provinz mit gut 200 Schwestern nicht vergeben sein: „Und ich wollte auch einen Namen, den man aussprechen kann.“

Franziska durchläuft die Ordensausbildung, kümmert sich um die Jugendarbeit, ist Ansprechpartnerin für Besinnungstage mit Schülerinnen und Schülern: „Das hat mir große Freude gemacht.“ Vor allem, weil sie mit ihrer Glaubensgeschichte nah bei ihnen ist. Die Wut auf Gott. Das Hadern. Eine Zeit, nicht glauben zu können. Und viele Fragen zu haben.

Aber Fragen tauchen auch bei Schwester Franziska auf. „Nach vier Jahren habe ich gemerkt, dass mir das Gebet immer wichtiger geworden ist.“ Sie beschäftigt sich mit der spanischen Mystikerin und Kirchenlehrerin Teresa von Ávila (1515–1582), knüpft Kontakte zum Karmel St. Josef in Hannover.

Sie meldet sich bei den Karmelitinnen, deren Wirken auf die heilige Teresa zurückgeht, zu Exerzitien an. Wieder ist ihre Hoffnung: „Nur damit ich weiß, das ist eben nicht der Weg für mich.“ Wieder geht das schief. Nach den Exerzitien lebt sie noch sechs Wochen in der Gemeinschaft der zehn Schwestern in der Landeshauptstadt. Die innere Unruhe ist weg. Gott hat gezogen: „Hier gehöre ich hin.“

Im November 2019 erfolgt der Wechsel. Eher bürokratisch-pragmatisch: Dokumente werden unterschrieben, das eine Ordenskleid abgelegt. Zwei Karmel-Schwestern holen sie ab, am Nachmittag wird das neue Gewand im Nähzimmer angezogen.

Jetzt klingelt der Wecker für Sr. Franziska immer um fünf Uhr. Ausnahme Sonntag: Da ist alles eine Stunde später. Sie bereitet den Schwestern-Chorraum vor, denn der Tag beginnt um sechs Uhr mit der Laudes, der ersten von fünf täglichen Gebetszeiten. Daran schließt eine Stunde inneres Gebet an: „Ohne Text, an einem frei gewählten Ort, mal im Zimmer, mal im Garten oder bei einem kleinen Spaziergang“, beschreibt Sr. Franziska. Es geht um das Pflegen der Gottesbeziehung, um die Freundschaft mit Jesus.

Ihre Mutter nennt sie weiterhin Anke

Dieses innere Gebet wiederholt sich am späten Nachmittag noch mal: „Das zeichnet den Karmel aus.“ Dazwischen liegen weitere Gebetszeiten, die Feier des Gottesdienstes, eine Stunde geistliche Lesung – auch zu gesellschaftspolitischen Themen: „Wir beten täglich für die Anliegen der Menschen in der Stadt Hannover und weltweit.“

Und es gibt Arbeitszeiten: Arbeit hieß für Schwester Franziska bis vor kurzem, dass sie ihr noch in Bestwig begonnenes Fernstudium der Bildungswissenschaften abgeschlossen hat. In Ihrer Abschlussarbeit beschäftigt sie sich mit der Digitalisierung in Karmelitenklöstern und hat dazu eine Umfrage unter den Klöstern der deutschsprachigen Provinz gemacht.Doch jetzt ist ihr Platz in der Nähstube: „Ein bisschen habe ich mir abgeschaut, aber jetzt muss ich richtig nähen lernen.“ Zudem möchte sie ihr Orgelspiel verbessern: „Das passt auch in den Tag.“

Freizeit? „Es gibt eine gemeinsame Rekreation mit meinen Mitschwestern am Nachmittag“, berichtet Sr. Franziska. Auch Nachrichten werden gemeinsam geschaut oder auch mal ein Dokumentarfilm. Spielfilme seltener. Der Tag endet um 19.30 Uhr mit der Komplet: „Da haben wir dann Zeit, was Persönliches zu machen.“ Bis der kommende Tag wieder um 5 Uhr beginnt.

Sr. Franziska ist deutlich jünger als ihre Mitschwestern. 25 Jahre liegen mindestens dazwischen und über 50 zu den ältesten Schwestern. Zudem ist sie Mitglied einer Gemeinschaft geworden, die schon lange zusammenlebt. Schwierigkeiten beim Eingewöhnen? „Nein“, sagt Sr. Franziska. Alle leben in einem Haus, da ist man aufeinander angewiesen. Entscheidungen werden gemeinsam gefällt, sie konnte und sollte sich von Anfang an einbringen. Sr. Franziska erklärt das mit der Sanftmut, die die Ordensgründerin Teresa stets gepredigt habe.

Im Dezember letzten Jahres hat sie sich mit ihrer Profess an die Karmelitinnen gebunden. Sie hätte dann wieder einen neuen Namen annehmen können: „Aber das wollte ich nicht.“ Es gibt jedoch den im Karmel üblichen Namenszusatz. Bei ihr lautet er: von der Schöpferliebe Gottes. „Ein schönes Programm“, sagt Schwester Franziska. Im Alltag bleibt es beim Vornamen. Und für ihre Mutter, die sie regelmäßig besucht, bleibt es bei Anke: „Alles andere wäre komisch.“

Rüdiger Wala