Mensch ärgere dich nicht

Glaubensgeschichten VI

Über Würfel und Spielsteine, Hausaufgaben und fehlende Freunde, verhallenden Applaus und einen Schreibtisch im Wohnzimmer: Wie die Familie Hellmann die Corona-Pandemie erlebt hat.

Achterbahn der Gefühle: So hat Maria Kellner aus Hannover vor wenigen Wochen ihr Erleben der Corona-Pandemie zusammengefasst als allein lebende Frau, die eigentlich durch Arbeit, Freunde, Musik und Kirche nie allein ist. Sondern viel in Geselligkeit. Etwas, was durch das Virus zeitweilig unmöglich war.

Aber wie hat nun eine Familie die Zeit mit oder besser gegen COVID 19 erlebt? Darüber hat sich die Familie Hellmann Gedanken gemacht. Sie gehört wie Maria Kellner zur Kolpingsfamilie St. Augustinus in Hannover-Ricklingen.

Mutter Anne ist blau, Vater Andreas ist grün, Sohn Felix ist gelb, David ist rot. In der Mitte Tochter Julia, die Jüngste. Gewissermaßen als Prinzessin. Um sie herum weiße Punkte. Sie bilden ein Kreuz. Dazu noch weitere Punkte, in den passenden vier Farben für ihre Eltern und Brüder. Die Zielfelder oder das Haus.

Das Ganze ergibt Mensch ärgere dich nicht, eine Erfindung aus dem Jahr 1910, mittlerweile wohl 100 Millionen mal verkauft und auch schon mit einer Briefmarke geehrt. Nur eben handgemacht mit den Konterfeis der Familie Hellmann. Nicht 110 Jahre alt, sondern ein gutes Jahrzehnt.

Das war ein Weihnachtsgeschenk, erinnert sich Anne Hellmann, 44 Jahre alt und Krankenschwester von Beruf. Gemacht hat es ihr Mann Andreas mit den Kindern. Der 48-Jährige ist gelernter Bäcker und hat dann Lebensmitteltechnologie studiert. Jetzt macht Hellmann etwas, was durchaus ein Traum vieler Kinder ist: Er erfindet. Und zwar Kekse in einer mehr als bekannten Hannoverschen Keksfabrik: Formal heißt das Projektleiter in der Abteilung Forschung und Entwicklung, berichtet Hellmann. Im Kern geht es darum, dass neue Rezepturen zum bestehenden Maschinenpark passen oder darauf abgestimmt werden. Klingt ein bisschen sehr technisch. Deshalb lieber Kekserfinder. Die drei Kinder dürfen häufig in die Rolle der ersten Tester schlüpfen.

Die Freunde nicht zu treffen ist blöd

Zurück zum Brettspiel: Als Corona die Republik lahmlegte, wurde das Eigenprodukt wieder häufiger auf den Tisch gelegt. Wir spielen ohnehin viel, erzählt Anne Hellmann. Der Spieleschrank ist gut gefüllt. Doch mit den drei Kindern zu Hause gibt es noch die eine oder andere Revanche mehr.

Für die Kinder war der Lockdown sicher schwieriger, meint Anne Hellmann. Das meint weniger den Ersatz des Unterrichts in der Schule mit Aufgaben, die per E-Mail ins Haus flattern: Daran haben wir uns schnell gewöhnt, sagt die 14-jährige Julia. David, 16 Jahre, nickt: Hat irgendwie geklappt mit den Aufgaben. Auch Felix, mit 17 Jahren der Älteste, konnte gut damit umgehen. Aber es war schon blöd, unsere Freundinnen und Freunde nicht treffen zu können, betont Julia: Richtig blöd.

Als Kranschwester an der Medizinischen Hochschule war Anne Hellmann auf einmal systemrelevant. Unmittelbar nach Ausbruch des Virus hat sie auf Bitten der Klinik ihre Arbeitszeit von 30 auf 50 Prozent erhöht. Dann wurde applaudiert. Jeden Abend, zum Teil auf sozialen Medien regelrecht inszeniert. Für Anne Hellmann ist das im Prinzip Hohn, denn es ist ja nichts geblieben.

Im Krankenhaus wurde niemand gefragt, ob er oder sie zur Risikogruppe gehört: Schwangere Kolleginnen standen bis zuletzt am Bett. Selbst bei Krankheit hieß es: Kommt trotzdem. Eine Kollegin hatte keine Chance ihr Kind in der Kita unterzubringen. Das sei ihr Problem, wurde ihr gesagt, berichtet Anne Hellmann. So wird aus dem Beifall von ges­tern der Hohn von heute.

Bei Ehemann Andreas ging es ins Homeoffice: Nicht sofort, weil wir erst noch ein Projekt in der Firma abschließen mussten. Hellmann gehört zu denjenigen, für die das Arbeiten zu Hause eher nichts ist. Kein Arbeitszimmer, der Schreibtisch steht im Wohnzimmer, nahe bei der offenen Küche. Ungüns­tige Ausgangsbedingungen: Manchmal bin ich in den Keller gegangen, erzählt der Kekserfinder.

Was ihm auch fehlt: Der Weg zur Arbeit. Den erledigt er normalerweise mit dem Fahrrad. Das bringt zum einen Bewegung. Nur so aus Spaß auf den Drahtesel steigen da hapert es durchaus mit der Motivation. Zum anderen:  Der Weg von der Arbeit macht den Kopf frei.  Es waren nur ein paar Schritte vom Schreib- zum Esstisch, sagt Andreas Hellmann. Da bleibt die Arbeit immer präsent.

Mecklenburger Seenplatte statt Rotes Meer

Was hat sich noch durch Corona verändert? Aus Ägypten wurde Mecklenburg, erzählt der Familienvater. Für die Osterferien war das Land mit den Pyramiden gebucht. Mehr noch: Julia wäre mit Delfinen geschwommen, David hätte diverse Runden mit einem Quad, einen vierrädrigen Motorrad, gedreht. Nun aufgeschoben,  auf wer weiß wann. Stattdessen Mecklenburger Seenplatte im Sommer. Auch schön.

Im Familienhotel fallen die Hellmanns durchaus auf. Weil sie so viel miteinander spielen, bevorzugt das Brettspiel, bei dem man sich eigentlich nicht ärgern sollte. In Rot, Blau, Gelb und Grün.

 

Rüdiger Wala