Heimatanker mit Paella

Glaubensgeschichten VIII

Deutschland war eine fremde Welt, als Josefa Luengo Cano als Kind herkam. Mittlerweile ist die Tochter eines Gastarbeiters nicht nur heimisch geworden – sie ist eines der „weiblichen Gesichter der Kirche“ im Bistum Hildesheim und in der Katholischen Region Hannover.

Da steht sie. Gleich zweimal. Einmal live – und einmal in Holz und Plastik. Denn Josefa Luengo Cano, die alle nur Pepi nennen, ist eines der „weiblichen Gesichter der Kirche“. Das ist der Titel einer Ausstellung, die seit über einem Jahr durch das Bistum Hildesheim wandert. 13 Frauen und ihre Lebensgeschichte stehen dabei im Mittelpunkt. Mal biblisch: wie die Gottesmutter Maria als Patronin des Bistums. Mal heilig: wie Edith Stein, die in Göttingen studierte und dort Zugang zum christlichen Glauben fand. Oder immer noch mittendrin – wie Pepi Luengo.

„Es ist schon ein bisschen komisch, neben mir zu stehen“, sagt sie und lacht. Aber es war ihr wichtig, bei dieser Ausstellung mitzumachen. Kirche – nach außen hin oft Männersache: Apostel, Päpste, Bischöfe, Priester. Frauen sind da allenfalls Nebendarstellerinnen. Still betend, Füße salbend, Kranke tröstend. Ein Bild, das für Pepi Luengo nur in einer Hinsicht stimmt: „Frauen dürfen nichts, machen aber alles“, sagt sie. Nicht verbittert. Nur mit Nachdruck.  

Frühjahr 1962: Pepi Luengo kommt in Cáceres in der spanischen Region Extremadura zur Welt. Sie ist das erste Kind – doch ihr Vater ist bei der Geburt nicht dabei. Im Monat zuvor ist er nach Deutschland gegangen. Angeworben als, wie es damals hieß, Gastarbeiter. 1965 entschließt sich Pepis Mutter, ihrem Mann zu folgen. Die Tochter bleibt bei der Oma. „Das war damals nicht ungewöhnlich“, erzählt Pepi Luengo. Ihre jüngere Schwester wird 1968 geboren. In Spanien: „Zur Geburt ist meine Mutter nach Hause gekommen.“ Zwei Jahre später kommt noch ein Bruder. Diesmal in einer Klinik in Hannover.

Und Pepi Luengo? 1969 holen ihre Eltern sie nach Hannover. Sie ist die erste Spanierin in ihrer katholischen Grundschule, spricht kaum Deutsch, fühlt sich einsam. „Sprichst du die Sprache nicht, bist du Ausländer“, sagt sie. Nach eineinhalb Jahren kehrt sie zur Oma zurück. Aber auch da wird es manchmal einsam. Ihre Erstkommunion feiert sie allein mit ihrem gleichaltrigen Cousin in den Sommerferien, weil dann die Eltern und ihre Geschwister nach Spanien kommen können. Gastarbeiterschicksal.

Eine Eins treibt ihr die Tränen in die Augen

Pepi Luego ist elf Jahre alt, als die Familie einen zweiten Versuch wagt, sie nach Hannover zu holen. Wieder ist die Welt für sie fremd. Auch und gerade in kleinen Dingen: Als sie in der Schule eine Eins bekommt, geht sie mit Tränen in den Augen nach Hause, erinnert sie sich. Denn in Spanien ist eine Eins eine denkbar schlechte Note. Hinzu kommt: Ihre Eltern, ihre Geschwister muss sie erst wieder kennenlernen. „Da strömt so viel auf einen ein, da fällt es schwer mit dem Eingewöhnen.“ Diesmal klappt es in der Schule etwas besser mit dem Deutschlernen: „Das hat mir in einer Sprachlernklasse ein türkischer Lehrer beigebracht.“ Gewissermaßen interkulturell.

Nach der Volksschule möchte Pepi Luengo Erzieherin werden. Doch der Abschluss fehlt, es hapert noch mit der Sprache. Die Eltern raten zu einem handwerklichen Beruf: Schneiderin. Schwierige Jahre liegen vor ihr. Ausbildung, erste, durchaus problematische Berufserfahrungen. Dann lernt sie ihren Mann kennen, zwei Mädchen werden geboren.

Nach elf Jahren zu Hause fängt Pepi Luengo wieder an zu arbeiten. Diesmal im Opernhaus Hannover, als Herrenschneiderin. Spezialität: Hosen. „Die Arbeit macht mir wirklich Spaß, sie fordert mich auch heraus“, betont sie. Nach vielen Jahren in der Fremde ist sie angekommen: in der Familie, mittlerweile mit einem Enkelkind, und im Beruf.

Heimatanker: die Spanischsprachige Mission

Aber einen Heimatanker hat es für sie immer gegeben: die Spanischsprachige Mission in Hannover – ein Glaube, eine Sprache, aber durch viele lateinamerikanische Gläubige eine Vielzahl von Kulturen. „Ich bin da so über meinen Vater reingerutscht“, sagt Pepi Luengo. Einen Platz findet sie in der Vorbereitung der Erstkommunionkinder – seit 18 Jahren bis heute: „Bestimmt steckt da mein Wunsch dahinter, dass ich mal Erzieherin werden wollte.“

Pepi Luengo versteht ihr Engagement aber nicht als Entscheidung gegen eine deutsche Pfarrgemeinde: „Wir möchten dabei helfen, dass sich Spanier und Lateinamerikaner hier gut eingliedern können.“ Von 2002 bis 2014 ist sie Vorsitzende des „Consejo Pastoral“, des Pfarrgemeinderates der spanischsprachigen Mission. In dieser Zeit entsteht ein nach wie vor bundesweit einmaliges Projekt: das Katholische Internationale Zentrum.

Dabei arbeiten mit der kroatischen, der italienischen sowie der spanischsprachigen drei Missionen mit der deutschen Pfarrei und dem Familienzentrum St. Maria zusammen. „Das ist nicht immer leicht“, sagt Pepi Luengo. Unterschiedliche Mentalitäten müssen miteinander vereinbart werden: „Aber es lohnt, weil wir durch den Glauben getragen werden.“

Auch stadtgesellschaftlich engagiert sich die spanischsprachige Mission für Integration – zum Beispiel mit der Plaza Cultural Iberoamericana, einem großen Fest vor der Basilika St. Clemens, der katholischen Hauptkirche Hannovers. 2018 fand es zum siebten Mal statt. Von Argentinien über Spanien bis Venezuela: 16 Nationen haben sich mit Info- und Spezialitätenständen beteiligt. Dazu: Musik, Tanz, Kultur und Glaube.

Pepi Luengo ist auch da mittendrin. Als Ansprechpartnerin oder an der übergroßen Pfanne, in der Paella vor sich hin köchelt. „Frauen machen alles“, sagt Pepi Luengo noch einmal. Sie sollten auch alles dürfen. Wieder: keine Verbitterung. Nur Nachdruck.

Rüdiger Wala