"Mit Angst kann man das nicht machen"

Glaubensgeschichten VII

Was treibt in die Ferne? Abenteuerlust? Sehnsucht? Der Wunsch nach mehr Sonne als in heimischen Gefilden? Auch, aber Reisen ist für Katrin Rütt vor allem eine große Bereicherung. Eine, die dankbar macht.

„Gereist bin ich schon immer gerne“, sagt Katrin Rütt. Aber nicht pauschal und für zwei Wochen mit Hotel, Strand und mal einem Tagesausflug. Sondern mit Rucksack, Zeit, Neugier – und auch einer Portion Gottvertrauen. Obwohl: „Ich weiß nicht, ob ich das so nennen würde“, sagt die 39-Jährige.

Aber ein Körnchen Wahrheit ist da schon dran. Denn um die Zeit zum Reisen zu haben, hat Katrin Rütt das auf- gegeben, was für andere Menschen der Ausdruck von Sicherheit ist: ihre Arbeitsstelle. Und das nicht nur einmal ...

„Nach dem Abitur habe ich Reisekauffrau gelernt“, erzählt sie. Daran schließt sich ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an, dann Eintritt in den Beruf. Es ist aber eher das Geschäft mit dem Fernweh, als selbst unterwegs zu sein. Das ändert sich im Winter 2013. Sie kündigt ihren Job, um vier Monate auf Reisen zu gehen. Zunächst geht es nach Australien – denn dort lebt ihr Bruder : „Familienbesuch“, sagt Katrin Rütt und lacht.

Dabei bleibt es nicht: Neuseeland, Fidschi-Inseln, schließlich die USA. Immer mit dem Rucksack auf den Schultern. „Das war eine tolle Zeit.“ Länder sehen, Menschen kennenlernen, in Kulturen und Traditionen eintauchen. „Der eigene Horizont verändert sich“, sagt Katrin Rütt. Der Blick wird weiter, freier. Vielleicht ist es das, was Fernweh ausmacht.

Wieder zurück: ein neuer Job im Marketing. Im Oktober 2018 macht sich die damals 37-Jährige wieder auf den Weg: eine Auszeit zum Reisen, aber nach Möglichkeit mit einem guten Zweck. Das Problem: Für die gemeinnützigen Möglichkeiten wie Freiwilligendienste, die den längeren Aufenthalt in einem Land mit einem sozialen oder ökologischen Projekt verbinden, ist Katrin Rütt schlicht zu alt: „Das war schon eine schräge Erfahrung.“

Erfahrungen zwischen Armut, Schönheit und Würde

Sie findet aber ein kommerzielles Projekt auf Madagaskar. Ihr Einsatzort ist eine kleine abgelegene Insel: „Weit weg von aller Zivilisation, eine Stunde Bootsfahrt zur nächsten größeren Insel.“ Drei Monate untersucht sie dort die Riffe: „Ich habe schon vor Jahren Tauchen gelernt.“ Sie lernt 140 verschiedene Fische auswendig, um sie bei den monatlichen Erhebungen zu zählen. Oder befreit die Korallen im Riff von Algen und reinigt die Strände.

Trotzdem bleibt auch Zeit, Madagaskar zu erkunden. Mit zwiespältigen Gefühlen: „Ein wunder- schönes Land, aber Madagaskar gehört auch zu den ärmsten Ländern der Welt.“ Trotzdem aber bewahren sich die Menschen ihre Würde, so ihr Eindruck. Diese Kluft zwischen Schönheit, Armut und Würde begleitet Katrin Rütt bei den weiteren Stationen ihrer Auszeit, als sie nach drei Monaten Madagaskar verlässt: „Einen längeren Aufenthalt gab mein Visum nicht her.“

Es zieht sie nach Südostasien, darunter Kambodscha und Indonesien, später nach Neuseeland und auf die Cook-Inseln und zum Schluss auf Stippvisite nach Kanada. Vor allem das immer noch von zwei Jahrzehnten Krieg, Schreckensherrschaft und Besatzung gezeichnete Kambodscha „hat mich sehr beeindruckt“, wie Katrin Rütt es beschreibt. Die Schönheit des Landes verbunden mit den Zeugen großer Geschichte wie Angkor Wat, die „Stadt, die ein Tempel ist“, steht hier wieder im Gegensatz zur Armut des Lan- des. Ein Eindruck, der für Katrin Rütt im Gedächtnis bleibt.

Gutes tun kann man auch zu Hause in Deutschland

So sehr, dass sie kaum nach ihrer Rückkehr wieder loszieht. Ein paar Monate jobben, dann geht es nach Thailand, Malaysia, wieder Kambodscha, diesmal sogar dort allein acht Wochen, und Laos. Wieder zieht es sie nach Angkor Wat: „Da gibt es eine kleine Initiative einer engagierten Frau aus Singapur, die Kinder nach der Schule mit Essen versorgt.“ Da hat sie als Touristin mitgeholfen. Am Samstag wird das Essen zudem zu den Kindern und ihren Familien in die umliegenden Dörfer gebracht: „Das war für mich schon eine sehr berührende Erfahrung.“

Erneut ist es eine Reise der krassen Gegensätze: In dem-selben Land übernachtet man im Dschungel – und erlebt dann die malaysische Hauptstadt Kuala Lumpur als moderner als deutsche Großstädte.“

Dann kommt die Corona-Pandemie und die Frage: „Bleibe ich irgendwo in der Welt hängen oder gehe ich zurück?“ Katrin Rütt entscheidet sich für die Rückkehr. Schweren Herzens. Wie aber hat das Reisen ihre Lebenseinstellung verändert? Zum einen: „Ich bin dankbar für das, was ich in Deutschland habe.“ Das sei ein sicherer Hafen. Zum anderen: ein großes Vertrauen. Vertrauen darauf, dass unterwegs – gerade als alleinreisende Frau mit Rucksack – nichts passiert: „Mit Angst kann man solche Reisen nicht machen.“ Aber mit Vorsicht und der Achtung der Menschen im Gastland gegenüber.

Das Reisen hat sie aber auch mit einer inneren Demut erfüllt: „Uns geht es hier sehr gut.“ Und Gottvertrauen? „Ich vertraue in das Leben“, sagt Katrin Rütt. Das ist Freiheit, Zuversicht und ganz viel Lebensfreude. Von ihrer Bereicherung durch das Reisen möchte sie etwas zurückgeben. Sie engagiert sich bei den Maltesern, ist regelmäßig mit dem Kältebus, der wegen der Corona-Pandemie nicht nur im Winter sondern ganzjährig fährt, unterwegs und verteilt zusammen mit anderen Ehrenamtlichen Lebensmittel an Wohnungslose. Und sie ist ehrenamtlich bei der Obdachlosenhilfe Hannover. Reisen ist vor allem Begegnung, findet Katrin Rütt. Das gilt auch für daheim.

Rüdiger Wala