„Kollege, bist du organisiert?“

Glaubensgeschichten IX

Aktiv in der Gewerkschaft und trotzdem – noch – katholisch: Für Nicola Lopopolo, Vorsitzender des DGB in Hannover, ist Glauben etwas Bodenständiges. Das hat auch mit seinen italienischen Wurzeln zu tun.

„Geboren bin ich auf dem schönsten Fleckchen Erde“: Daran lässt Nicola Lopopolo keinen Zweifel. Der kleine Ort Bisceglie liegt 30 Kilometer von der italienischen Hafenstadt Bari entfernt. „Genau unter dem Sporn, den der Stiefel hat“, sagt der heute 60-Jährige. Vor gut einem Jahr hat er den Vorsitz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hannover übernommen – und damit in der Stadt, die nicht so schön wie sein Geburtsort ist, aber in der er fast sein Leben lang wohnt.

„Ich war gerade zehn Monate alt, da sind wir meinem Vater hinterhergezogen.“ Sein Vater war Arbeiter, mit dem Zusatz „Gast“; er wurde bereits 1955 angeworben. 1962 zog die Familie nach, damals mit vier Kindern, später wurden vier weitere geboren.

„Die katholische Kirche hat damals Gastarbeiterfamilien sehr geholfen“, erinnert sich Lopopolo. Unterstützung bei der Wohnungssuche, Hilfe beim Ankommen im neuen Zuhause. Der Gang zur Kirche St. Eugenius gehört zum Sonntag dazu: „Wir als Kinder wie die Orgelpfeifen mit dem Vater, während die Mutter den Haushalt machte“, erzählt Lopopolo.

Die Familie ist in die Gemeinde gut eingegliedert: Die Kinder dienen alle am Altar, nehmen an Freizeiten teil. Bodenständiger Glaube. Lopopolo besucht die Grundschule im Stadtteil: „Ich habe mal alte Zeugnisse rausgesucht, da stand, dass ich schon damals Klassensprecher war.“ Früh übt sich, wer sich für Kollegen einsetzt.

Dieses Engagement führt dazu, dass Lehrer seine Eltern überzeugen, ihren Jungen aufs Gymnasium zu schicken. „Das war Anfang der 1970er Jahre als Ausländerkind, wie es hieß, schon was Besonderes“, sagt Lopopolo. Der junge Lopopolo beißt sich durch. Bis zur zehnten Klasse. Da geht es nicht mehr weiter. Andere Interessen werden wichtiger, rebellische 17 Jahre als. Freitags kommt Lopopolo nach Hause. Sein Vater nimmt ihn mit in eine Bauschlosserei, unterschreibt seinen Ausbildungsvertrag. Am Montag fängt Lopopolo an. So schnell kann’s gehen.

Viel gelernt, wenig Rechte und kein Dank

Ein kleines Unternehmen. Mit Licht-, aber auch vielen Schattenseiten: „Ich habe da jede Menge gelernt, keine Frage, wir mussten viel improvisieren.“ Doch auf Montage schläft er nachts auf der Pritsche des Lkw, wäscht sich morgens im Kiesteich. „Wir hatten kaum Rechte als Arbeitnehmer“, ist die zweite prägende Efahrung. Als Lopopolo schließlich kündigt, bekommt er von seinem ehemaligen Chef einen Satz hinterhergeworfen: „Ein Guter geht, ein Besserer kommt nach.“ Kein Respekt, kein Dank, nicht den Hauch von Anerkennung. Kapitalismus in klein. „Das war eine Situation, die mein Leben geprägt hat“, sagt Lopopolo. E

r wechselt zum Gleitlager- und Kupplungsspezialisten Renk in Hannover. „Da habe ich gemerkt, hier läuft es anders.“ Unmittelbar nach Arbeitsbeginn wird er vom Betriebsratsvorsitzenden angesprochen: „Kollege, bist du organisiert?“ Lopopolo weiß zuerst gar nicht, was gemeint ist. Aber er tritt in die IG Metall ein, wird schnell Vertrauensmann und 1991 in den Betriebsrat gewählt. Drei Jahre später, 1994, übernimmt er den Vorsitz. Bis heute.

Doch sein Engagement geht über die eigene Niederlassung hinaus. Lopopolo wirkt im Gesamtbetriebsrat mit und später im Konzernbetriebsrat, als Renk selbst von MAN übernommen wurde. MAN wiederum gehört zum Volkswagen-Konzern. Lopopolo wird Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – Augenhöhe mit den großen Namen, die Volkswagen prägen.

Wieder lernt der Metaller viel. Vor allem, wie wichtig Mitbestimmung und gewerkschaftliche Interessenvertretung für ein Unternehmen ist. Aber erneut gibt es eine Schattenseite, die des Kapitalismus in groß. Oder, wie Lopopolo es nennt, „die hässliche Fratze des Kapitalismus“. VW verkauft Renk an einen schwedisch-deutschen Finanzinvestor. Dessen Modell: Firmen mit geliehenem Geld kaufen, Kredite oder Beteiligungen aus dem Betrieb bedienen, dann das Unternehmen wieder verkaufen.

Das Gebet hilft in schwierigen Situationen

„Das macht uns große Sorgen“, sagt Lopopolo. Denn nicht nur Personal an der Spitze wird ausgetauscht. Produktionsstandorte stehen auf dem Spiel, Gewinne müssen an die Anteilseigner oder Banken abgeführt werden. Zudem hat die Belegschaft einen Anteil zu leisten: „Darüber müssen wir als Betriebsrat verhandeln, wie das aussehen kann.“

Dabei hilft der Rückhalt starker Gewerkschaften: „Die Mitbestimmung muss noch weiter ausgebaut werden, wir brauchen mehr statt weniger Tarifbindung in diesem Land.“ Persönlich hilft etwas Weiteres: der Glaube. „Ich bete tatsächlich immer noch.“ Eben in den schwierigen Situationen des Lebens, die die Arbeit oder auch die Familie mit sich bringen.

Die Distanz zur Amtskirche ist jedoch größer geworden. Keine Orgelpfeifen mehr am Sonntag. Das hat mit jenen Momenten in der Biografie zu tun, in der sich die Kirche unverständig gegenüber dem Alltag und der Lebenswirklichkeit von Menschen zeigte. Zum Beispiel, als zwei seiner Geschwister nicht kirchlich heiraten durften. Weil im einen Fall die Braut schon schwanger war, im anderen der Bräutigam eine andere Religion hatte. Das ist zwar lange her, aber immer noch präsent. Eine Kluft.

An anderer Stelle liegt für Lopopolo aber keine Kluft vor: zwischen christlicher Nächstenliebe und gewerkschaftlicher Solidarität. Für ihn, den katholischen Metaller und DGB-Vorsitzenden, sind das zwei Seiten ein und der derselben Medaille.

Rüdiger Wala