Corona und Armkissen

Glaubensgeschichten V

Was macht die Pandemie mit der Seele? Maria Kellner hat es für ihre Kolpingsfamilie aufgeschrieben – und wir haben nachgefragt.

Achterbahnfahrt der Gefühle – so war der Beitrag im gemeinsamen Programmheft der Kolpingsfamilien in der Katholischen Region Hannover überschrieben.  Unterzeile: Corona-Erfahrungsbericht eines Singles im Homeoffice. Autorin: Maria Kellner.

Anlass genug einmal nachzufragen. Zumal schon der erste Satz in Maria Kellners Bericht lautet: "Ich bin es gewohnt allein zu leben ... aber nur, weil ich nie allein bin!" 50 Jahre ist Maria Kellner jetzt alt. Zwei Zeichen runder Geburtstagswünsche stehen auf der Terrasse ihres kleinen Reihenhauses in Hannover-Mittelfeld. Einmal in ganz groß, mehrfach in klein: Ein Strandkorb in echt und diverse Karten mit diesem Motiv als Gratulation. Der Strandkorb wird noch für Corona wichtig.

Aber der Reihe nach: Nie allein bin was heißt das? Zum einen: Maria Kellner ist voll berufstätig, als Team-Assistentin bei einem großen Energieversorgungsunternehmen. Wie das in großen Firmen immer mehr um sich greift, arbeitet sie auf zwei halben Stellen. "Einmal in Hannover, einmal in Essen", erläutert Maria Kellner auf Nachfrage. Das bedeutet zweimal im Monat Dienstreisen. Das füllt die Tage beruflich.

Zum anderen das private Leben: "Sehr bewegt", schreibt sie.  Musik ist wichtig für Maria Kellner. Sie singt seit 1985 in der Band Q-bus. Gegründet 1985 in der Gemeinde St. Eugenius ist sie von Anfang an dabei. Der zweite Einsatz ihrer Stimme ist im Chor Taktvoll aus der Gemeinde St. Augustinus in Ricklingen: "Dort war ich bis vor Kurzem im Chorvorstand und habe ihn im Regionalvorstand des Cäcilienverbandes vertreten."

Dazu Engagement in der Kolpingsfamilie, im Pfarrgemeinderat, Treffen mit Freunden, Kollegen, Wassergymnastik: "Tage und Abende sind ausgefüllt, normalerweise bin ich nie allein."

Aber dann kam Corona: "Das war für mich wie von 100 auf null", schildert Maria Kellner. Zumal sie sich gleich zu Beginn der Pandemie in Quarantäne begeben musste. Selbst hatte sie keine Symptome, aber es gab Kontakt zu einem Positiv-Getesteten.

Wie war das aber mit der Achterbahn der Gefühle? Zu Anfang hat Maria Kellner noch die Ruhe genossen. Sie hat gemalt, gelesen, im Garten gewerkelt und in eben jenem Strandkorb gesessen.  Aber die Arbeit im Homeoffice wurde immer weniger, ebenso wie die Kontakte nach draußen sich auf Telefon und Bildschirm reduzierten.

Die Folge: ein tiefes Loch tat sich auf. "Die Kombination aus 'kein Kontakt zur Außenwelt' und 'nichts zu tun' ist ganz schlecht für meine Psyche", macht es Maria Kellner deutlich. Kein Antrieb mehr, kraftlos ... eben ein Loch.

Wie kam sie da wieder raus? Zum einen mit Musik. "Jeden Morgen habe ich nach dem Frühstück ein Lied gesungen", erzählt die Musikbegeisterte. Das habe die Stimmung aufgehellt.

Zum anderen half eine Nähmaschine. Vom Kolpinghaus, einem Männerwohnheim ihres Verbandes, kam die dringende Bitte nach Masken: "Eigentlich hatte ich mir immer vorgenommen zu nähen." Baumwollstoff war da,  Gummibänder auch. Es fehlte eine Anleitung: "Ein Muster habe ich im Internet gefunden." Wichtig war eine Variante, die ohne zu bügelnde Falten auskommt. Das hätte im kleinen Reihenhaus Platzprobleme bereitet.

Die erste Maske hatte eine Fertigungszeit von über zwei Stunden. Doch mit der Übung kam die Routine. Mittlerweile hat Maria Kellner auch Masken für ihr Arbeitsteam genäht. Das Angebot der Kolleg*innen: Maria Kellner näht und dafür gibt es eine Spende für einen Zweck ihrer Wahl. So konnte sich das angesichts der Pandemie geschlossene Kolping-Ferienparadies über eine Zuwendung freuen. Beschäftigung, um etwas Gutes zu tun: Auch das half aus dem Loch.

Und reden. Zum Beispiel mit den Nachbarn. Doch irgendwann war es Maria Kellner leid, von ihrem Strandkorb aus mit einer Stimme hinter der Holzwand zu reden. Ein Brett wurde entfernt und die Nähmaschine kam wieder zum Einsatz. Diesmal für passende Armkissen, um die Corona-Klappe bequemer zu machen.

Denn es war genau der Kontakt zu anderen, der Maria Kellner am meisten gefehlt hat: "Ich meine, richtigen Kontakt, in echt." Handschlag, Umarmungen, Blickkontakt, ohne dass ein Bildschirm dazwischen ist. Freunde treffen, Besuch empfangen, das ist nun eingeschränkt wieder erlaubt: "Das Leben nimmt wieder Fahrt auf, Gott sei Dank."

Rüdiger Wala