Die unbekannten Seiten eines bekannten Heiligen

Um Nikolaus ranken sich jede Menge Geschichten

Ist es nun historisch belegt oder gehört es in das Reich der Legenden? Beim heiligen Nikolaus, den Bischof von Myra ist das nicht immer so ganz eindeutig. Aber klar ist, die Geschichten haben überlebt. Bis heute. Denn wussten Sie schon, ...

  • ... dass Nikolaus, der vielleicht populärste Heilige, 1969/70 aus dem Heiligenkalender gestrichen wurde? Der Grund: Zu wenig gesicherte Informationen über sein Leben und Werk. Ein Schicksal, das St. Nikolaus mit dem heiligen Valentin teilte. Denn über den Patron der Liebenden gibt es gleichfalls wenig gesichertes Wissen.
  • ... dass in die vielen Legenden Überlieferungen über zwei „Nikoläuse“ einfließen? Zum einen bekanntermaßen über Nikolaus von Myra (geboren zwischen 270 und 286 in Patara; gestorben am 6. Dezember 326, 345, 351 oder 365 – je nach Quellenlage). Er wirkte als griechischer Bischof in Lykien (im Süden der Türkei). Zum anderen sind auch Legenden von Nikolaus von Sion, dem 564 gestorbenen Bischof von Pinara (dem heutigen Minare, ebenfalls im Süden der Türkei) überliefert. Dieser Nikolaus war vor der Weihe zum Bischof Abt des Klosters Sion bei Myra. Es lässt sich heute nicht mehr klären, welche Legende welchem Nikolaus zuzuschreiben ist. Übrigens: auch beim heiligen Valentin verschmelzen zwei historische Vorbilder. Aber das ist eine andere Geschichte ...
  • ... dass Nikolaus – der Legende nach – auch gegen die Göttin Diana gekämpft hat? Der Heilige ließ in Myra einen der römischen Jagdgöttin geweihten Baum umschlagen. Diana bereitet daraufhin ein Öl, das auf Wasser und Steinen brennt. Dieses gebräu übergibt sie Seeleuten auf dem Weg nach Myra mit der Bitte, dort die Wände der Kirche zu bestreichen. Doch Nikolaus kreuzt mit einem kleinen Boot den Kurs des Schiffes und fordert sie auf, das Öl ins Meer zu gießen. Das Öl verbrennt. Später in Myra erkennen die Seeleute den Heiligen wieder und danken ihm für das Retten vor dem „Plan eines Teufels“.
  •  ... dass Nikolaus, der Bischof von Myra, Teilnehmer am 1. Konzil von Nicäa 325 war – und das durchaus handfest? Er soll nämlich als Kämpfer gegen den Arianismus (Lehre: Es gibt nur einen Gott und Jesus ist sein herausgehobenes Geschöpf, aber nicht Gott selbst – also gegen die Dreifaltigkeit gerichtet) niemand anderen als den Begründer der Lehre selbst geohrfeigt haben: den Presbyter Arianus aus Konstantinopel. Lange Zeit war strittig, ob Nikolaus tatsächlich in Nicäa dabei war. Auf manchen überlieferten Listen – es gibt mindestens 16 – taucht sein Name auf, auf andern nicht. Das trifft aber auch auf andere berühmte Konzilsteilnehmer zu.
  • ... dass die Ausbreitung der Nikolausverehrung im 10. Jahrhundert im Deutschen Reich durch Kaiserin Theophanou gefördert wurde? Sie war die griechische Ehefrau von Kaiser Otto II. In Ihrem Brautschatz soll sich eine Nikolaus-Ikone befunden haben, die heute als die älteste bildliche Darstellung des Heiligen in Westeuropa gilt (siehe Foto). Ein enger Ratgeber des Kaiserpaares und Erzieher ihres Sohnes Otto III. war Bernward, der spätere Bischof von Hildesheim.
  • ... dass die monumentale Basilika S. Nicola in Bari eng mit Bischöfen aus Hildesheim verbunden ist? Im April 1087 wurden Nikolaus‘ Gebeine von Abenteurern aus Bari, die auf drei Schiffen anreisten, aus seinem Marmorgrab in Demre entwendet. Sie wurden nach Bari gebracht. Dort wurde für die Reliquien eine Basilika errichtet. Die Krypta weihte Papst Urban II.. Den vollendeten Bau konsekrierte am 22. Juni 1197 Konrad, der Kanzler des Heiligen Römischen Reiches und 25. Bischof von Hildesheim. Einer seiner Nachfolger feierte daher auch das 800-jährige Jubiläum des Gotteshauses 1997 – der 68. Bischof von Hildesheim, Dr. Josef Homeyer.
  • ... dass Nikolaus auch von Dieben als „ihr“ Patron auserkoren wurde? Der Heilige ist bekanntlich Schutzpatron der Kaufleute, der Seefahrer, der Schüler, Kinder und für unschuldige Gefangene. In Rom war die Kirche San Nicola in Carcere eine Gefängniskirche. Sie hatte das päpstliche Privileg, jedes Jahr zum Fest des Heiligen einen zum Tode Verurteilten zu begnadigen. Das dürfte der Hintergrund sein, weshalb Diebe Nikolaus kurzerhand zu ihrem Patron machten.
  • ... dass Nikolaus auch Patron der Deutschen Hanse, der Vereinigung niederdeutscher Kaufleute im Mittelalter war? Davon zeugen zahlreiche Nikolauskirchen im ganzen Nord- und Ostseeraum, aber auch in traditionellen Handelsstädten. Die Kirchen wurden von den Kaufleuten und Seefahrern errichtet und hatten einen bedeutenden Status – nicht zuletzt, weil sie von Bruderschaften unterhalten wurden. Auch waren caritative Hospitäler den Gotteshäusern angegliedert. Aufgrund dieser Bedeutung blieben die Nikolauskirchen auch während der Reformation Nikolauskirchen. Der Name des Heiligen wurde nicht getilgt.
  • ... dass die Tradition der Kinderbischöfe auf mittelalterliche Kloster- und Stiftsschulen zurückgeht? Der älteste Nachweis dazu findet sich in der Chronik der Klosterschule St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert, der Brauch ist wahrscheinlich noch viel älter. In zahlreichen Städten wurde ein Kinderbischof oder –abt am Nikolaustag gewählt, der vereinzelt sogar bis zum Fest der unschuldigen Kinder am 28. Dezember amtierte. Er durfte den Erwachsenen predigen und ihr Verhalten tadeln. Außerdem durften Kinder auf sein Geheiß ihre Wünsche für das Weihnachtsfest aufschreiben.
  • ... dass Stiefel oder Teller nicht immer die erste Wahl für Nikolaus-Geschenke waren? Mindestens seit dem 15. Jahrhundert gab es den Brauch, aus Papier Schiffchen zu basteln, in die der Heilige seine Gaben legen sollte. Hintergrund könnte das Patronat des Heiligen für die Seeleute sein. Denkbar ist aber auch, dass dieser Brauch auf das Sinnbild der Kirche als Schiff zurückgeht. So wird zum Beispiel das Entstehen des Adventschorals „Es kommt ein Schiff geladen“ für die gleiche Zeit angenommen.
  • ... dass in Bremen Kinder am Nikolaustag von Haus zu Haus gehen, Lieder singen und um ein kleines Geschenk bitten? Auch hier liegt der Ursprung im Mittelalter. Damals hieß es Sunnerklauslaufen („Sunte“ ist niederdeutsch für Sankt). Es wird vermutet, dass Klosterschüler beim Umzug eines Kinderbischofs um Spenden und kleine Aufmerksamkeiten baten. Dabei wurden adventliche Lieder gesungen. Im 18. Jahrhundert galt dieser Brauch bei den Reformierten jedoch als „papistische Torheit“. Er hielt sich dennoch. Sogar mit einer besonderen Vortragsart: Im 19. Jahrhundert wurde während des Liedersingens mit einem Stab auf den Boden geklopft – eine Anspielung auf den Krummstab des bedeutenden Bischofs Nikolaus.

Rüdiger Wala