Eine Gemeinde in 15 Stationen

Ministerpräsident Stephan Weil besucht Heilig Geist in Hannover-Bothfeld

So was nennt sich wohl Speeddating: 15 Begegnungen in 75 Minuten – und Zeit für einen Kaffee bleibt auch noch. Sportlich. Aber wie kann eine Gemeinde sonst einem prominenten Zeitgenossen zeigen, was sich alles unterm Kirchturm verbirgt? Mit anderen Worten: Ministerpräsident Stephan Weil meets Heilig Geist in Hannover-Bothfeld.

Zunächst einmal ist es ein Freundlichkeitsbesuch unter Nachbar*innen. Denn Stephan Weil ist nicht nur Ministerpräsident, sondern auch direkt gewählter Landtagsabgeordneter im Wahlkreis 24 – Hannover-Buchholz. Zu diesem Wahlkreis gehört auch der Stadtteil Bothfeld mit der Kirche Heilig Geist. Das Gotteshaus feiert die 60. Wiederkehr der Weihe – und zu solchen Anlässen kommt dann auch der zuständige Abgeordnete. Hier zusammen mit dem zuständigen Bezirksbürgermeister Wjahat Waraich. So weit, so üblich. Dass es sich bei dem Abgeordneten auch um den Ministerpräsidenten handelt – tatsächlich Zufall.

Es macht nur Zeitfenster knapper. Nicht zuletzt, weil an diesem Tag noch Bundespolitisches in Berlin ansteht. Auch da ist ein Landeschef gefordert. Umso dringlicher die Antwort auf die Frage: Wie präsentiert man eine Gemeinde mit ihren Angeboten, Gruppen, Initiativen und Besonderheiten? Vor allem, ohne dass lange, mehr oder weniger launige Reden geschwungen werden, bis der Kaffee kalt ist?

Die Antwort in Heilig Geist: Eine Mischung aus Stationslauf und Speeddating. 15 an der Zahl. Beginn vor der Kirche, Ende im Pfarrheim. Klingt schräg-sportlich. Aber es funktioniert. Mit Spaß. Den hat auch der prominente Gast. Sichtlich. Und hörbar. Mit vielen Nachfragen.

Seit 18 Monaten wird für die Ukraine gebetet 

Wobei der Auftakt die Wirklichkeit in den Mittelpunkt rückt – der zwei Meter hohe Friedensmahner auf der kleinen Wiese vor der Kirche. Aufgestellt, kurz nachdem Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen und überfallen hat. Seit 18 Monaten betet dort die Gemeinde jeden Sonntag für den Frieden. Ohne Unterlass. Drei kurze Minuten, die dem Ministerpräsidenten zeigen, wie sehr sich Heilig Geist den Menschen in der Ukraine verbunden fühlt.

In dieser Taktung geht es weiter. Am Kirchenportal gibt es ein paar kurze Informationen zur Geschichte des Gotteshauses – und auch zu dessen nur zehn Jahre älterem Vorgängerbau, der schnell zu klein geworden war.  In der Kirche selbst geht es zunächst um Päckchen: für Obdachlose in Hannover und für bedürftige Kinder in Osteuropa - , zwei caritative Aktionen der Gemeinde jeweils zu Weihnachten. Dann geht der Blick wieder Richtung Ukraine: Denn seit Kriegsbeginn wird nicht ausschließlich gebetet, sondern auch Hilfsgüter gesammelt. In der mit Kissen und Spielzeugen wohnlichen Kinderecke in der Kirche informiert ausnahmsweise ein Vater (als Stellvertreter für die Mütter, die nicht dabei sein konnten), wie die Gemeinde Kinder auch in den Gottesdienst einbindet. Der Pastoralrat informiert, Ministrant*innen zeigen Gewänder und Weihrauch, das Familiengottesdienst-Team berichtet über seine Arbeit, von der Firmvorbereitung mit Lebenswochen und erklärt, warum vor dem Altar in einem Kreis aus Pflastersteinen auf Sand 24 Kerzen aufgebaut sind – die Anzahl der Firmand*innen. Die Kerzen brennen in jedem Gottesdienst. 

Weiter geht’s: Das Liturgieteam schildert am Ambo dem Ministerpräsidenten, wie unterschiedlich Gottesdienste gefeiert werden und wie wichtig, aber auch wie mühsam der Dienst einer ehrenamtlichen Leiterin von Beerdigungen ist. Am Ausgang wird noch über die Sternsingeraktion berichtet. Anlass für Weil, die Sternsinger*innen von Hl. Geist in die Staatskanzlei einzuladen. Jedes Jahr um das Fest der Heiligen Drei Könige besucht eine große Gruppe von Sternsinger*innen mittlerweile aus ganz Niedersachsen den Ministerpräsidenten in seinem Amtssitz: „Das ist für mich immer der erste Termin im neuen Jahr – und ein ganz besonderes Zeichen“, sagt Weil.

Zeichen, wie bunt die Welt und die Menschen sind

Wieder vor die Kirche: Dort hängen Bannerfahnen in Regenbogenfarben an den großen Masten. Drei Jugendliche vom „Prideteam“ erzählen, warum sie dort hängen – als Zeichen und Unterstützung für queere Menschen, die beispielsweise gleichgeschlechtlich lieben oder sich keiner bestimmten Geschlechteridentität zuordnen. Ein Banner ist bereits beschädigt worden, die Gemeinde hat es ersetzt. Die zweite Fahne wurde angezündet, wiederholt wurden rechtsextreme Aufkleber an der Kirche entdeckt und abgekratzt. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz. Doch Heilig Geist und das Prideteam machen weiter. Weil das Zeichen, wie bunt die Welt und die Menschen sind, bestehen bleiben muss.

Schließlich wird das Pfarrheim erreicht: Die Katholische öffentliche Bücherei zeigt sich, der Caritashelferkreis, die Seniorinnengruppe und die Männergemeinschaft umreißen in kurzen Worten ihr Engagement. Speeddating geschafft. Kaffee, Kuchen, belegte Brötchen stehen bereit.

„Die roten Schürzen sind mir aufgefallen“, sagt Weil, jetzt mal ganz Sozialdemokrat, zum Küchen-Team von Heilig Geist. Bevor er zum Nahrhaften greift aber noch ein paar Worte – nach den vielen Nachfragen beim Speeddating. Natürlich dankt Weil, jetzt wieder ganz Staatsmann, für die Einladung und gratuliert – und zeigt sich beeindruckt vom Spektrum ehrenamtlicher Arbeit in Heilig Geist: „Das ist die Chance, wie christliche Gemeinden eine Zukunft haben.“ Zwar entscheiden sich immer weniger Menschen für einen geistlichen Dienst, aber das ist, so Weil, „nicht das Ende des christlichen Glaubens in der norddeutschen Tiefebene“. Entscheidend sei, dass sich Christ*innen engagieren: „Hier in Bothfeld gibt es viele Menschen, die sich nicht als aktive Mitglieder der katholischen Gemeinde bezeichnen, die nicht katholisch sind, aber Ihre Arbeit außerordentlich schätzen.“ 

In der Stadt Hannover ist der Anteil der Menschen, die sich zu einer der großen christlichen Kirchen zählen, mittlerweile unter 50 Prozent gesunken: „Aber die Wirkung, die die Kirchen mit ihrem Engagement erreichen, geht weit über diese 50-Prozent-Marke hinaus.“ Die Kirche bleibt für viele Menschen eine moralische Instanz. „Das muss aber untermauert werden von Menschen, die das pflegen“, sagt Weil: „So wie hier.“

Rüdiger Wala