Matthäus trifft Antigone und Mr. Bojangles

Die erste Kulturandacht in der Basilika St. Clemens

Auftakt der Kulturandachten in der Basilika St. Clemens mit Alrun Hofert und „Learning to fly“. Über Privilegien in Pandemiezeiten, die Geringsten und die ausgelatschten Schuhe des Tänzers.

Mildes Licht erhellt die Basilika St. Clemens – mit Akzenten in Gelb und Orange. Gitarrentöne erklingen, ein Lied, das wie gemacht ist für das Nachdenken über das Verhältnis von Kultur und Kirche. Der Rhythmus fast fröhlich, der Text nachdenklich: „Ich hab mal einen gekannt – Bojangles, ja, so hat er geheißen – der tanzte. / Tanzte mit seinen ausgelatschten Schuhen, / Seinem ausgefransten Hemd, /Den ausgebeulten Hosen. / Graues, fast silbernes Haar. / Ganz weich hat der getanzt.“ Der Titel: „Mr. Bojangels“, 1968 geschrieben vom Songwriter Jerry Jeff Walker, bekannt geworden durch die Interpretation von Sammy Davies jr. Ein alter Tänzer, ein Trinker, der trotz aller Trauer und Scheitern in einem Gefängnis von New Orleans doch so etwas wie Hoffnung schenkt.

In St. Clemens interpretiert „Learning to fly“ den Klassiker der Musikgeschichte, der weit über 100-mal gecovert wurde. „Learning to fly“ (nach einem Song von Tom Petty and the Heartbreakers) sind das Duo Juan Schmid und Martin Hauke. Sie spielen nicht nur die großen Songwriter der Rockgeschichte. Sie geben den Songs ihre eigene Färbung, mal kraftvoll, mal dosiert, aber immer mit Hingabe. So werden aus Liedzeilen spürbare Gefühle, Worte bekommen Bedeutung. Das verbindet Kunst und Kirche. Im Verlauf der Andacht werden sie auch das Lied spielen, das der Reihe den Titel gab: „Fragile“ von Sting. Sanft im Ton, nachhallend in der Wirkung.

Gesetze aus Gesinnung übertreten?

Alles andere als sanft: die Rezitation von Alrun Hofert. „was hält uns hier was / hält uns hier zusammen hält uns was / hält uns aus was hält die / welt auf der wir stehen aus“ zitiert die Schauspielerin aus „antigone ein requiem“. Für das Schauspiel Hannover hatte der österreichische Dramatiker Thomas Köck die antike griechische Tragödie Antigone einer Rekomposition unterzogen. Alrun Hofert selbst spielte die Titelrolle – die der Königstochter, die alle Gesetze der weltlichen Gemeinschaft übertritt. Nicht für sich selbst, sondern um Tote zu beerdigen.

Als zweiten Text wählt Alrun Hofert Verse aus dem Evangelium nach Matthäus: das „Weltgericht“ (25, 31-46): „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Für die Schauspielerin die zweite Verbindung von Kunst und Kirche in dieser Kulturandacht – die Frage danach, was die Welt zusammenhält.

"Sich halten und aushalten"

Ihre Antwort auf diese Frage wird vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie plastisch: Das Evangelium zeige auf, dass es Privilegien in der Welt gebe. Wo Geringe, da auch Höhere. Aber die frohe Botschaft appelliere an die Verpflichtung, die eigenen Privilegien für die zu nutzen, die sie nicht haben – die hungern, die dürsten, die krank oder im Gefängnis sind. Hier schließt sich für Alrum Hofert der Kreis zum Requiem für Antigone: „Sich halten und aushalten.“ Doch dieses Verhältnis werde immer neu austariert: „Es braucht Orte für den Diskurs und die Auseinandersetzung, zum Beispiel Theater, Musik und die Kirchen.“ Matthäus trifft Antigone und Mr. Bojangles.

Für Thomas Harling, Kulturbeauftragter der Katholischen Kirche in der Region Hannover, ist der Auftakt geglückt. „Für eine Andacht mag das ungewöhnlich klingen, aber die Stimmung war sehr gut“, fasst der Pastoralreferent seinen Eindruck zusammen. Ein Beleg dafür: „Es ist ja eher selten, dass in einer Kirche bei einer liturgisch geprägten Veranstaltung Applaus nach Musikstücken und den Impulsen gespendet wird.“ Von Besucher*innen habe er gehört, wie gut es ihnen getan habe zu so einer Veranstaltung mit Musik und Lesung zusammenzukommen. Textlich wie musikalisch werden elementare Fragen von Kultur und Kirche berührt: „Aber mit einer Leichtigkeit und Vielschichtigkeit, die diesen Kulturandachten ein besonderes Format verleiht.“

 

Die weiteren Kulturandachten:

  • Bewegte Bilder werden die Kulturandacht am Mittwoch, 9. Juni, prägen: Wiebke und Johannes Thomsen vom Loderbast Kino-Kiosk werden als Impuls einen Kurzfilm zeigen. Musikalisch begleitet werden die dabei vom Organisten David Thomas.
  • Ausdrucksstarke Fotos stehen im Mittelpunkt der Kulturandacht am Mittwoch, 23. Juni. Die Fotografin Kwanho Yuh wird Fotos zeigen, die die persönliche und gesellschaftliche Situation der Corona-Pandemie widerspiegeln – im musikalischen Zusammenspiel mit ihrer Tochter, der Sängerin Sara Zwingmann. Am Klavier werden sie von Nicolai Krügel begleitet.
  • Jazzklänge mit dem Kontrabassisten Johannes Keller setzen die musikalischen Akzente in der Andacht am Mittwoch, 7. Juli. Der Wortbeitrag kommt von Professorin Susanne Rode-Breymann, der Direktorin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH).
  • Die Abschlussandacht vor den Sommerferien am Mittwoch, 21. Juli wird musikalisch von „Cream Flow“ mit den Musiker*innen Agnes Hapsari und Pit Schwaar gestaltet, den textlichen Impuls Jörg Breiding, Professor an der Essener Folkwang-Hochschule und Leiter des Knabenchors Hannover.

Beginn ist immer um 19:30 Uhr. Eine Anmeldung ist aufgrund der geltenden Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich – entweder unter Telefon 0511/1640520 oder per E-Mail:propstei(ät)kath-kirche-hannover.de. Es stehen in der Basilika 38 Einzelplätze zur Verfügung, bei gemeinsamen Haushalten entsprechend mehr. Die Kulturandachten werden von der Stiftung „Kirche sein – Region Hannover“ finanziell unterstützt

Rüdiger Wala