Sprühen in aller Öffentlichkeit

Interview mit Streetart-Künstler Joy Lohmann

Zwischen Kirchenkunst und Comic: Streetart-Künstler Joy Lohmann über die Fassadengestaltung mit und für St. Godehard in Hannover

Joy Lohmann, 1965 geboren, in Hildesheim und Lima/Peru aufgewachsen, Grafik-Designer und Streetart-Künstler in Hannover-Linden, über Auftragsarbeiten:

Auftragsarbeiten sind etwas völlig Normales, Kunst ist schließlich auch eine Dienstleistung. Wichtig ist, mit den Auftraggebenden einen gemeinsamen Weg einzuschlagen. Mein Ansatz ist die Idee der Sozialen Skulptur, die jeden und jede als Künstler*in sieht. Mit meinen Arbeiten möchte ich so viel Partizipation wie möglich schaffen, denn Kunst findet nicht an der Wand statt, sondern in den Köpfen, in der Fantasie der Betrachter und Mitgestalter*innen. Bei Auftragsarbeiten möchte ich die Kund*innenwünsche mit dem sozialen und räumlichen Umfeld abstimmen, um dann mein eigenes künstlerisches Schaffen einzubringen. 

 … über das Sammeln von Ideen:

Jedes größere Kunstwerk bietet mir Gelegenheit, mich intensiv mit einem für mich neuen Thema auseinanderzusetzen. Dabei entstehen die Motivideen für den künstlerischen Entwurf. Da ich aus Hildesheim stamme, war mir St. Godehard natürlich vertraut. Und so war es für mich eine Ehre, zum Godehardjahr in Hannover zu wirken. Natürlich habe ich recherchiert, was ist das für ein Typ, warum ist der heilig und was heißt das überhaupt? Godehard war, wie ich glaube, sehr demütig und gewissenhaft, wissenschaftlich interessiert, aber auch einOrganisationstalent, der politisch gewirkt hat. Das alles ist in das Graffiti eingeflossen und hat mein Bild von Godehard aus Hildesheimer Zeiten sehr erweitert.

… über Farbe und Optik:

Das Christentum ist sehr bildgewaltig, mich fasziniert dabei die Kirchenfenster-Kunst. Das wollte ich gerne bei dieser Arbeit aufgreifen. Der Treppenaufgang am Gemeindezentrum von St. Godehard ist schmal, halbrund und sehr hoch. Also musste ich mich fragen, was stellt man übereinander dar? Kirchenfenster sind eine gute Anregung, weil sie wie ein Comic mit übereinander stehenden Bildern, mit Konturen und farbigen Flächen arbeiten, die dann zudem von Licht durchstrahlt werden. Die Leuchtkraft der Kirchenfenster findet bei Graffiti ihre Entsprechung in den kräftigen Farben einer bildhaften Geschichte. Ich habe mich gefragt, was denn die heutige Version von Kirchenfenstern wäre und ihre Faszination von innen, in der Kirche, nach außen, auf die Wand zu tragen. 

… über das „Beobachtet werden“ bei Sprühen des Kunstwerks:

Ja, das ist ein Aspekt, den ich sehr liebe bei meiner Arbeit. Graffiti und Streetart entstehen im öffentlichen Raum und auch hinterher bleiben sie öffentliche Kunstwerke. Es gibt immer Interaktionen mit Passanten. Es dauert nun einmal, bis eine Arbeit gesprüht ist. In St. Godehard waren es gut drei Wochen. Da wird Kaffee raus gereicht, dann kommen Leute immer wieder, um zu sehen, wie das Bild wächst. Wenn ich mit den Leuten spreche, ist es für mich aber auch das erste Feedback, dass ich sammeln und unter Umständen aufgreifen kann. 

… über den Umgang mit dem, was anderen heilig ist:

Ich weiß, ich arbeite mit Werten und damit möchte ich behutsam umgehen. Deshalb frage ich gerne nach, ob das, was da gerade entsteht, den Erwartungen entspricht oder etwas anderes auslöst. Als die Graffiti offiziell vorgestellt wurden, habe ich viel Zustimmung bekommen, natürlich bin ich sehr froh darüber. Ich denke, das hat mit zwei Dingen zu tun: die Auseinandersetzung mit dem Lebensweg von Godehard und – Stichwort „heilig“ – mit dem Motiv ganz oben am Treppenturm, dem aus dem Himmel segnenden Godehard. Da könnte man sagen, das ist eigentlich viel zu kitschig. Aber das ist nun einmal Ikonografie, deswegen habe ich es übernommen. Ich denke, man spürt, dass diese Szenen mit Liebe gemalt sind. 

Aufgezeichnet: Rüdiger Wala