Wie Godehard nach Linden kommt ….

St. Godehard: Ein Graffiti über drei Geschosse und ein Engel für Selfies

Der „Treppenturm“ und die Wand des Pfarrhauses von St. Godehard in Hannover sind mit Graffiti gestaltet worden. Der Namenspatron hat dabei eine farbenprächtige Rolle – und Selfies sind auch möglich.

Das ist markant im Doppel: Zum einen die, wie es in Hannover in dieser Mischung aus despektierlich und hintersinnig heißt, „drei warmen Brüder“. In Natura 160 Meter hoch, markante Schornsteine des Gaskraftwerks im Stadtteil Linden. Kultobjekt und technisches Wahrzeichen, nachts im Übrigen farbig angestrahlt. Darüber, zum anderen, ein markantes Gesicht. An der Mitra unschwer als Bischof zu erkennen. Das Patronat der benachbarten Kirche macht deutlich, um wen es sich handelt. Um den heiligen Bischof Godehard, der von 1022 bis 1038 Bischof von Hildesheim war.

Selbst wird er nie an dieser Stelle gestanden haben. Denn die heutige Landeshauptstadt war zu Lebzeiten des Benediktiners ein Marktflecken – gelegen am hohen Ufer (= „Hanovere“, obwohl diese Namensgebung umstritten ist) zur Querung der Fernstraße zwischen dem Erzbistum Bremen und dem Bistum Hildesheim. 

Doch nun blickt der Bischof von dem immerhin drei Geschosse umfassenden Treppenturm des Gemeindehauses auf den Stadtteil Linden. „Wir wollten zum Godehardjahr, das in unserem Bistum begangen worden ist, einen besonderen Akzent setzen“, sagt der Pfarrer von St. Godehard, Wolfgang Semmet: „Vor allem möchten wir als Gemeinde Gesicht zeigen und uns weiter zum Stadtteil öffnen.“

Maloche, Kulturen und Szene

Da fiel der Blick auf das von der Straße gut erkennbaren, halbrunde Außentreppenhaus des Gemeindezentrums. Durchaus markant hebt es sich vom Gebäude ab, turmähnlich, aber von der Optik her nur „betonmäßig“. Mehrere Gebäude in der Nachbarschaft und viele Fassaden in ganzen Stadtteil sind deutlich bunter. Der ursprüngliche Arbeiterstadtteil, in dem St. Godehard 1874 als zweitälteste Kirche Hannovers geweiht wurde (und 1950 nach der totalen Zerstörung und Wiederaufbau erneut), hat sich verändert. Mehr und mehr Industriebetriebe wurde verlagert oder gingen in. Linden wandelte sich zu einem Wohngebiet für Migrant*innen und Studierende, ein Szenestadtteil. Das prägt auch das Wirken der Gemeinde im Stadtteil – ein vom Glauben geprägter Ort der Begegnung zwischen den Kulturen und Generationen zu sein.

„Szene“ bedeutet auch alternative Kultur – und Graffiti sind ein Bestandteil davon. In Linden sind nicht nur viele Fassaden mit ihnen gestaltet, großflächig, aufwendig, künstlerisch. Sie sind so prägend für den Stadtteil, dass es besondere Führungen für diese Straßenkunst und Fassadengestaltung gibt. Da lag es nahe, dass „die Gemeinde Farbe bekennt“, wie Semmet es umschreibt.

"Die Wirklichkeit, in der wir als Gemeinde tätig sind"

Zwei Künstler lud die Gemeinde ein, vor Ort wurden Ideen besprochen, Konzepte eingereicht. Der im Stadtteil wohnende Streetart-Künstler Joy Lohmann überzeugte das „Auswahlteam“ mit seiner Idee. Lohmann greift in seiner Gestaltung die Fenster der benachbarten Kirche St. Godehard auf. Ihre Ornamentik findet sich am Fuße des Treppenturms. So bildet das Gotteshaus optisch die Grundlagen für das Leben und Wirken des Hl. Godehard. Lohmann zeichnet die diese Geschichte in bunten Farben nach: Godehard als studierender Benediktiner, seine Berufung durch Kaiser Heinrich II., der Weg als Bischof nach Hildesheim, schließlich im Himmel als Heiliger – segnend, auch wenn die Fingerhaltung an ein lockeres „Peace-Zeichen“ erinnert. Glühende Kohlen fehlen natürlich nicht. Denn der Legende nach soll Godehard so feurig gepredigt haben, dass Kohlen in seiner Tasche sich selbst entzündeten.

Doch besonders herausstechend: Godehard blickt auf Linden. Auf die Schornsteine des Kraftwerks, die zudem an die Geschichte als Arbeiterstadtteil erinnern. Auf eine gigantische Wohnanlage, das Ihme-Zentrum, für das Hannover angesichts von Verfall und Finanzspekulationen immer wieder in die Schlagzeilen gerät. „Das ist die Wirklichkeit, in der wir als Gemeinde tätig sind“, meint Semmet.

Wie sich die Gemeinde dieser Wirklichkeit stellt, zeigt das zweite, zeitgleich von Lohmann gesprühte Werk an der Wand des Pfarrhauses. Die vier Tafeln schildern das „Gemeindeprogramm“, wiederum in bunten Farben: Gemeinschaft, Bewahrung der Schöpfung, Inklusion und Segen sein. Da gibt es Fahnen und einen Fußball, Bäume und Blüten, einen Rollstuhl und Flügel. Die Flügel sind dabei eine besondere Einladung – für Selfies als Engel. Auch hier findet sich die Ornamentik der Kirchenfenster wieder. Die Fassadenbilder zeigen außen das, was innen in der Kirche zu finden ist. Eine Inschrift, die in die Wand geritzt ist. So erklärt die italienische Sprachwissenschaft die Entstehung des Begriffs Graffiti. Passend für eine Kirche

Rüdiger Wala