"Zeigen, dass wir da sind"

Ökumenisches Kirchenzelt beim Fest der Demokratie zum Tag der Arbeit in Hannover

Tariftreue und Obdachlosigkeit, Mitbestimmung und Stadtplanung: Was heißt eigentlich „ungebrochen solidarisch“ im Blick auf das Gemeinwesen in Hannover? Diese Frage haben die Kirchen beim Fest der Demokratie nach der DGB-Kundgebung zum Tag der Arbeit in der Landeshauptstadt aufgeworfen.

Beim traditionellen Talk an der Weltkugel nehmen der evangelisch-lutherische Stadtkirchenverband und die Katholische Kirche in der Region Hannover das Leitwort der DGB-Kundgebung in den Blick: „Ungebrochen solidarisch“. Aber was bedeutet ein solches Motto in einer Großstadt, wie lässt sich „die Stadt neu denken“?

Für Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay kann eine Stadt nur als „solidarisches Zusammenleben“ gedacht werden. Für den Bündnisgrünen geht es dabei um die Situation von Geflüchteten, um die Veränderung der sozialen, sportlichen und kulturellen Strukturen durch die Corona-Pandemie: „Das transformiert, das verändert unsere Stadt.“

Die von ihm angestoßene Verkehrs- und Mobilitätswende ist für Onay eine Frage der sozialen Teilhabe.„Es geht nicht darum, nur Straßen für Autos sperren, sondern wieder Räume für Menschen und für die Natur öffnen, gerade auch in der Innenstadt.“

„Solidarität ist eine gesellschaftliche Grundhaltung“

„Solidarität ist eine gesellschaftliche Grundhaltung“, entgegnet Felizitas Teske. Die Sprecherin des Dekanatspastoralrates der Katholischen Kirche in der Region Hannover verweist auf die Gegensätze, die das Zusammenleben in einer Stadt prägen: „Jung und Alt, Arm und Reich, Arbeit Besitzende und ohne Arbeit, behauste und unbehauste Menschen.“ Nicht wenige Menschen werden dabei an den Rand gedrängt. Solidarität bedeute konkrete Unterstützung: „Das beginnt damit, dass wir zeigen, wir sind da.“

Für Kirchen zieht das aber eine Verpflichtung nach sich. Solidarität bedeute auch mehr Mitbestimmung ermöglichen: „Ich denke da an die Mitarbeitendenvertretungen in unseren Kirchen.“ Vor allem im „höheren Management“ sei es Zeit für eine sowohl arbeits- wie geschlechtergerechte katholische Kirche: „Da geht’s im Moment hin“, sagt Teske unter Beifall der Zuhörenden.

Mizgin Ciftci erinnert an Szenen von vor zwei Jahren: „Damals würde den Verkäuferinnen in den Supermärkten und den Arbeitern in den großen Lagern Beifall gespendet, weil sie die Versorgung aufrechterhalten haben“, betont der Verdi-Gewerkschaftssekretär Handel für den Bezirk Hannover/Heide/Weser. Doch heute werden Kolleg*innen in Warenhäusern gekündigt, obwohl sie über Jahre auf Gehalt verzichtet haben. Schwangere und Angehörige pflegende Frauen werden aus ihrer Arbeit gedrängt: „Zu viele Unternehmen sehen Menschen nicht mit ihrer Würde, sondern nur als Kostenfaktor.“

"Dafür braucht es Solidarität aus der Bevölkerung.“

Nur noch 30 Prozent der Handelsunternehmen haben einen Tarifvertrag, nicht zuletzt durch Teilzeit erreichen 90 Prozent der Beschäftigten im Alter keine auskömmliche Rente: „Ihnen droht Altersarmut“. Eine Veränderung sei nur durch einen Wertewandel zu erreichen, durch faire Arbeitsbedingungen, durch nachhaltige und sozialgerechte Löhne: "Dafür braucht es Solidarität aus der Bevölkerung.“

Diese Solidarität sei auch nötig für die Menschen, „die bahnhofsnahe Plätze aufsuchen“, meint der evangelische Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp und lenkt damit den Blick aus obdachlose und drogensüchtige Menschen: „Als Kirche müssen wir das Ohr bei ihnen haben und uns für die Menschen mit wenig Lobby einsetzen.“

Lösungen können dabei immer im Hinblick auf das Machbare zusammen mit der Politik angegangen werden: „Aber dafür braucht es eine starke Stadtgesellschaft – und die haben wir“, ist Feldkamp sicher.

Zelt in die Nikolaikapelle eingeschoben

Unter dem Leitgedanken „Farbenfroh und vielfältig“ versteht sich das ökumenische Kirchenzelt mit Mitmachangeboten für Groß und Klein ein Ort der Begegnung auf dem Festgelände zum Tag der Arbeit am 1. Mai. Allerdings in diesem Jahr erstmals an einem neuen Ort – ein Stück weit eingeschoben in die Ruine der Nikolaikapelle, den Resten des ältesten Gebäudes Hannovers. 1284 wurde das Kirchlein, das mitten auf dem Goseriedeplatz steht, erstmals urkundlich erwähnt.

In die Gestaltung des Zeltes ist der aus dem Jahr 1325 stammende Chorraum mit einbezogen: Durchsichtige Zeitwände geben nicht nur den Blick auf die Ruine frei, sondern zum Tag der Arbeit auch auf das dafür ausgestellt Bolivienkreuz des Bistums Hildesheim. Nicht nur als Hinweis auf die weit über 30 Jahre währende Partnerschaft zwischen dem Bistum Hildesheim und der Kirche von Bolivien. Sondern auch auf weltweite Solidarität: Der Längsbalken stammt aus dem tropischen Tiefland Boliviens, wo immer mehr Regenwald abgeholzt wird, um in Monokulturen Zuckerrohr für Biosprit oder Soja für die Rindermast anzubauen. Der Querbalken stammt aus einer Mine im Silberberg von Potosí – als Zeichen dafür, wie Menschen und ihre Arbeitskraft ausgebeutet werden.

Rüdiger Wala