Brühe per Bollerwagen …

Mit Würze, Salz und Zucker: Eine Aktion des [ka:punkt] in Hannover

Mit dem „Café Abstand“ auf Tour durch die Innenstadt von Hannover: Eine Aktion des [ka:punkt], dem Treffpunkt der Katholischen Kirche 

Das riecht doch nach … Suppe? Ein Geruch, dem man nicht unbedingt im Café des [ka:punkt], dem Treffpunkt der Katholischen Kirche in der Innenstadt von Hannover, vermutet. Doch jetzt steht Wolfgang Sender an einem großen Topf auf einer Kochplatte. Der 64-Jährige hat gerade Suppenpaste im heißen Wasser aufgelöst, schmeckt sie mit Instant-Hühnerbrühe ab: „Das bringt noch Salz und Würze rein“, meint Sender, der sich ehrenamtlich und gleich auf mehrere Weise im [ka:punkt] engagiert.

Sender war es auch, der den Anstoß zu einer Aktion gegeben hat, die sich „Café Abstand“ nennt. Die Brühe hat dabei besondere Bedeutung. Und ein umgebauter Bollerwagen. Beides verbunden mit einem besonderen Prinzip des [ka:punkt]: Begegnung ermöglichen.

„Normalerweise sind ja die Leute in den [ka:punkt] gekommen, viele auch spontan auf einen Kaffee“, sagt Sender. Eine nicht kleine Zahl von Cafébesuchern hat gleiche zwei Kaffee bezahlt: Einen für sich und eine zweite Tasse als Spende, die dann an Besucher*innen ausgegeben werden konnte, die ihn nicht zahlen kann. Ein solidarisches Prinzip für die, deren Wohnzimmer die Innenstadt ist – egal bei welchem Wind oder Wetter. Ob nun obdachlos, auf Almosen hoffend, musizierend oder weil sie sonst nicht wissen wohin.

Doch mit Beginn der Pandemie ist natürlich auch das Café im [ka:punkt] geschlossen. Hoffnung, irgendwann wieder im Außenbereich zu öffnen, gab es immer wieder. Doch irgendwann war klar: So schnell geht das nicht. „Also brauchte es eine andere Idee“, sagt Sender. Wie aber kommt nun ein Stück – oder besser ein Schluck – [ka:punkt] in die Innenstadt. Wenn auch auf „Abstand“ – Infektionsschutz verlangt nach Hygieneetikette.

Coffee-to-go einmal andersherum

Beim Blick auf übrig gebliebenes Material von Bau im eigenen Garten, entwickelte Sender seine Idee weiter: Aus den Resten baute er einen Aufsatz für einen Bollerwagen, damit Warmhaltekannen, Pappbecher, die „Milchflasche“ (eigentlich eine Spritzflasche aus dem Labor), Kekse und Bonbons sicher auf dem Pflaster der Innenstadt chauffiert werden können. Coffee-to-go am Nachmittag einmal andersherum. Oder Brühe per Bollerwagen.

Die klare Suppe ist jetzt fertig und wird in eine Thermoskanne gefüllt. „Die ist immer als Erstes weg“, berichtet Sender. Der Kaffee ist auch durch. „Brauchen wir noch roten Tee – oder nur schwarzen?“, fragt Lucienne Christ. Die 70-Jährige ist heute mit Sender unterwegs: „Egal, ich mache beides“, sagt die noch und zieht die Einmal-Handschuhe an. Die beiden sind eingespielt. Schnell füllt Lucienne Christ noch den Behälter für die Zuckertüten auf, Sender befestigt eine Tüte für den Abfall. Maske auf, startbereit in Richtung Bahnhof. Also dort, wo sich Gestrandete in einer Stadt immer einfinden.

Der erste Kaffee geht an einen Musiker. Ein älterer Mann, graues Jahr blitzt durch die Strickmütze, graue Stoppel durch die Maske, die Weisen, die er auf dem Akkordeon spielt, klingen osteuropäisch. „Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt Sender. Eine Frage, die Lucienne Christ und er in den nächsten zweieinhalb Stunden schier unendlich wiederholen. Oder in der Variante mit Tee. Oder mit Brühe.

Der Musiker möchte. Kaffee. Mit Milch. Und bitte viermal Zucker. Das zeigt er mit seinen Fingern an. „Das ist aber nicht gesund“, sagt Lucienne Christ. Sie füllt die vier Päckchen trotzdem ein. Denn sie weiß: Wer nichts im Bauch hat, nimmt den Zucker gegen Hunger.

„Das ist gut, nichts gegessen heute“

Die erste Brühe nimmt ein junges Paar, das etwas abseits auf einer Decke sitzt. Davor ein Pappbecher. Ein paar kleine Münzen sind drin. „Das ist gut, nichts gegessen heute“, sagen sie. Mehr nicht. Ihr Blick geht eher zu Boden. Scham? Verzweiflung? Furcht? Im niedergeschlagenen Blick spiegelt sich vieles. Nur nichts Gutes.

„Das ist etwas, was mich beim Weg durch die Innenstadt immer beschäftigt“, erzählt Wolfgang Sender: „Wir schauen Menschen an und blicken in Augen, in denen es keine Hoffnung mehr gibt.“ Da stelle sich für ihn schon die fast schon klassische Frage, warum es in einem wohlhabenden Land immer noch eine so große Zahl von Menschen gibt, die durch das soziale Netz fallen.

Doch erst einmal werden Christ und Sender freudig begrüßt: „Schön , dass ihr wieder da seid“, sagt der Mann, der die Obdachlosen-Zeitschrift Asphalt verkauft. Täglich steht er an diese Stelle, versucht das Blatt an die Passanten zu bringen. Er ist einer von knapp 80 Verkäufern im Stadtgebiet von Hannover, die alle vorher – oder aktuell – wohnungslos sind. Heute aber kein Kaffee für den Verkäufer: „Nicht gut für den Magen“, sagt er und lacht. Aber ein paar Bonbons nimmt er gerne. Sender zückt die Suppenkelle. Übergabe auf Abstand.

So geht die Tour weiter. Immer wieder die Frage, immer wieder eine Antwort. Der Bettler, der gern die Brühe nimmt, aber nicht die Augen vom Boden. Die junge Frau mit Tattoos und Piercing, die sich fast schon euphorisch über den Kaffee und die Handvoll Kekse freut, sich wieder und wieder bedankt. Vielleicht auch, weil sie ein bisschen high ist. Der Straßenmusiker, der tatsächlich roten Tee möchte und eine Pause einlegt. Der offenkundig verwirrte Mann, der in eine speckige Decke gehüllt durch die Innenstadt geht. Ohne Maske. Polizeibeamte sprechen ihn an, Christ und Sender helfen mit einer Maske aus.

Lebensgeschichte ins Gesicht gezeichnet

Vorm Hauptbahnhof bleiben die beiden noch mal kurz stehen. „Mal sehen, wie’s heute läuft“, meint Sender und erklärt: „Manchmal gibt es leichte Probleme mit den Sicherheitsleuten im Bahnhof.“ Weil kostenlos Getränke vom Bollerwagen verteilt werden. Doch diesmal bleiben Nachfragen oder Ermahnungen aus.

Der Bahnhof wird zwischen den Reisenden und Pendlern durchquert. Ein Kaffee hier, eine Brühe da. Zwei Polizeibeamte lehnen das Angebot freundlich ab: „Aber da hinten sitzen Leute, die das sicher brauchen.“ Da hinten, am anderen Ende des Bahnhofs, hat auch die ökumenische Bahnhofsmission ihre Räume. Hier sitzen und stehen, ja wanken und schlafen auf dem nackten Boden Menschen, denen ihre Lebensgeschichte und Armut den Körper und das Gesicht gezeichnet hat. Schlecht verheilte Wunden auf Armen und Händen, aufgerissene Äderchen im Gesicht.

Die Brühe ist alle. Als Erstes. Sender hat recht behalten. Mit dem letzten Kaffee und Tee geht es zum Raschplatz hinter dem Bahnhof. Ein Platz, an dem viele soziale Probleme und Herausforderungen der Stadt wie unter einer Lupe zu sehen sind. Ein Platz mit einer Polizeiwache, die zentimeterdicke Stahltüren hat.

Der Ton um den Bollerwagen wird etwas rauer. Nicht dramatisch, aber Christ und Sender müssen auf den notwendigen Abstand und die Reihenfolge hinweisen. Mehrfach fällt die Frage, ob die beiden ein Stück Brot dabei haben. „Leider nicht“, müssen sie zur Antwort geben. Nach dem ersten Ansturm wird es ruhiger. Christ und Sender drehen noch eine letzte Runde über den Platz. „Halbe Tasse reicht“, hören sie an einer Stelle, „da kommt noch Eierlikör rein“. Freundlich wird zugezwinkert. Auch die Bonbonkiste wird geleert. Alles geht an eine Gruppe von Kindern, die sich in der Passerelle unter dem Hauptbahnhof aufhält.

„Zu Ostern hatten wir sogar kleine Pakete dabei“, erzählt Sender auf dem Rückweg: „Mit Keksen, Eiern, Würstchen und Toastbrot.“ Für die Kekse hatten Schülerinnen und Schüler der katholischen Ludwig-Windthorst-Schule gesammelt und einen ordentlichen Vorrat in den [ka:punkt] gebracht. Auch Osterkarten waren dabei. „Solche Spenden sind wichtig für uns“, sagt Sender.

Zwei kleine Spenden gibt es sogar an diesem Nachmittag. „Finde ich gut was Sie machen“ sagt auf einmal ein junger Mann, wirft ein paar Münzen in eine Spendenbox – und ist so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Eine halbe Stunde später nimmt ein Familienvater einen angebotenen Kaffee, möchte aber einen kleinen Obolus dafür geben. Aber eine Münze gibt es noch obendrauf. Das Solidarprinzip im [ka:punkt] – zahle einen Kaffee und spende einen zweiten – funktioniert auch unterwegs.

  • Der [ka:punkt] ist eine Einrichtung der Katholischen Kirche in der Region Hannover. Er ist ein Treffpunkt für Begegnung, Beratung und Seelsorge in der Innenstadt von Hannover. Kontakt: Grupenstraße 8, 30159 Hannover, Telefon: 0511/270 73 90 E-Mail: info(ät)ka-punkt.de, Internet: www.ka-punkt.de.

Rüdiger Wala