Der Fisch im Garten

Von Linden, Brennnesseln und Bienen in Hl. Engel in Hannover

Erst mussten die toten Bäume fallen – und dann blüht die Vielfalt der Natur. Der Ichthys-Garten in der Gemeinde Hl. Engel in Hannover-Kirchrode ist ein Refugium für alles, was wächst und sprießt, was kreucht und fleucht.

Eigentlich darf hier alles wuchern. Und es soll es auch. Aber eine Ausnahme gibt es doch: „Hier müsste das Kraut raus“, meint Kerstin Sobania. Die Vorsilbe „Un“ vermeidet sie. Das hat natürlich einen triftigen Grund.

Hier – das ist ein mit Rindenmulch angelegter Weg im neuen Garten der Pfarrei Hl. Engel im Hannoverschen Stadtteil Kirchrode. Dieser Weg muss sichtbar bleiben, ansonsten ist es ein Garten, der von selbst wachsen soll. Deshalb gibt es hier nur sprießendes Kraut ohne die diskriminierende Vorsilbe. Ohne ständige Eingriffe mit Menschenhand, Werkzeug oder sogar Chemie. Pure Natur, Refugien für alles, was kreucht und fleucht, nur mit einem einladenden Weg – und dieser Weg hat eine markante Form, die dem Garten auch seinem Namen gibt.

„Ichthys“, erläutert Andreas Meisig, ein weiteres Mitglied im „Ichthys“-Team , ist griechisch für Fisch und christlich „für eines der kürzesten Glaubensbekenntnisse“. Aus der griechischen Buchstabenfolge I·Ch·Th·Y·S ergibt sich: „Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser“ – das Erkennungszeichen von Christ*innen zu Zeiten der Urkirche während der Verfolgung. Ein einfaches Symbol aus zwei Halbkreisen, hinten mit offener Flosse: „Genauso ist unser Weg angelegt“, beschreibt Maria Otto, die dritte im Bunde. Es ist ein kurzer Weg, der zu Meditation und Nachdenken einladen soll – oder von Kindern nach dem Gottesdienst zum Austoben benutzt wird. Auch barfuß auf dem Rindenmulch.

Der Garten ist durchaus ein Geschenk des Himmels der seit Jahren auch in Hannover vorliegenden Dürre. „Auf diesen gut 300 Quadratmetern standen mal 24 Fichten“, erzählt Andreas Meisig. 40 Jahre lang wurde diese Ecke auf dem großen Grundstück um Kirche und Pfarrheim nicht genutzt. Allenfalls Kompost wurde dort abgelagert. Gut für wuchernde Fichten und für reinen Nadelwald schätzende Käfer. „Borkenkäfer hatte den Bäumen schon ordentlich zugesetzt“, berichtet Meisig. Verbunden mit langer Dürre starben die Bäume, so dass nur noch tote Stämme in die Luft ragten.

„Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als die Bäume zu fällen“

„Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als die Bäume zu fällen“, sagt Meisig. An 21 Fichten legte er selbst mit Hand an, drei mussten von einer Spezialfirma abgesägt werden. Doch weggeschmissen wurde das Holz nicht. Als klar war, dass die freigelegte Fläche ein Garten (und keine Parkplatzerweiterung) wird, wurden aus den Baumabschnitten die Begrenzungen für den „Fischweg“ gelegt: „Nichts geht hier verloren.“

Weiteres Holz wurde an eine nebenstehende Garage gestapelt – als „Herberge“ für Insekten. In Richtung Süden wurde ein Reisigwall angeschüttet um Igeln und Nagern, Kröten und Echsen, Zaunkönig und Heckenbraunelle einen Rückzugsraum zu geben, ein Mehrfamilienhaus der Natur. Abgedeckt wurde der Wall mit dem zersägten und abgeknappsten Weihnachtsbaum aus der Kirche Hl. Engel. Nichts geht verloren. Diese Refugien für Insekten, Reptilien, Vögel und Kleinsäuger sind Meisig wichtig: „Wir leben hier in einem Stadtteil mit ordentlich gepflasterten Hofeinfahrten und angeblich so pflegeleichten Steingärten.“

Von den Fichten befreit, waren Maria Otto, Kerstin Sobania und Andreas Meisig gespannt, wie sich das Unterholz so entwickeln würde: „Ahorn, Erle, Esche, Hartriegel, Walnuss, Haselnuss, Kirsche, Holunder und Brombeere und vieles andere mehr“, listet Kerstin Sobania auf. Alles ohne ordnende Menschenhand entstanden. Selbst angepflanzt hat Maria Otto Himbeeren und Fingerhut. „Das sind ja Pflanzen, die man am Waldrand findet“, betont Kerstin Sobania. Denn auch das soll der kleine Garten inmitten der Stadt abbilden – die Vielfalt des Waldes.

„Wir haben in die Mitte eine Europäische Linde gesetzt“

Dazu gehört eine weitere Pflanzung. „Wir haben in die Mitte eine Europäische Linde gesetzt“, sagt Maria Otto. Zum einen, weil der Baum robust gegen die fortschreitende, spürbare Erwärmung des Klimas ist. Zum anderen, weil Linden eine große Weide für Bienen sind. Zum dritten, weil Linden eine gesellschaftliche Funktion haben: Die große Linde war und ist in Dörfern häufig der zentrale Versammlungsplatz. Das gibt es auch für die Gemeinde Hl. Engel.

Was auch noch wuchert – der Inbegriff des „Un“Kraut: Brennnesseln. „Ja, die müssen wir ein wenig in Schach halten“, sagt Kerstin Sobania und lacht. Aber genau betrachtet sind Brennnesseln eher ein „Superwildkraut“: medizinisch wirken die Blätter harntreibend, schmerzstillend und entzündungshemmend. Offiziell belegt durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Essbar ist die Pflanze auch – als Salat, Suppe oder wie Spinat. „Hinzu kommt, Brennnesseln sind überlebenswichtig für Schmetterlinge“, ergänzt Kerstin Sobania.

Die Sache mit der Fehlinterpretation von Brennnessel ist eine der Geschichten, die Maria Otto, Kerstin Sobania und Andreas Meisig mit dem Garten erzählen wollen. Oder warum es Refugien für Kleinlebewesen geben sollte. Was es mit der Linde auf sich hat. Oder mit diesem griechischen Fisch. Deshalb möchten sie in absehbarer Zeit Hinweistafeln aufstellen.

Erst einmal muss aber der namensgebende Weg wieder sichtbar gemacht werden. Deshalb zupfen Maria Otto, Kerstin Sobania und Andreas Meisig weiter das Kraut zwischen dem Rindenmulch heraus. Ohne „Un“ und ohne Chemie.

  • Der Ichthys-Garten in Hl. Engel (Böhmerwaldstraße 8, 30559 Hannover) liegt am südlichen Ende des Pfarrheims. Er kann aus Haftungsgründen nur auf eigene Gefahr über das Pfarrgrundstück betreten werden.

Rüdiger Wala